Winfried Neun im Interview
„Wenn das Vertrauen der europäischen Bevölkerung in Europa nicht wieder hergestellt werden kann, wird die Eurozone in dieser Form künftig nicht mehr existieren.“
1. Laut Eurobarometer verliert der Staatenbund Europa als “Institution” bei den Staatsbürgern von Großbritannien, Spanien, Italien, Polen, Frankreich und Deutschland massiv an Vertrauen. In Deutschland glauben bereits 59 Prozent der Bundesbürger nicht mehr an ein Überleben der Europäischen Union. Woran liegt das?
Dieser desolate Zustand ist zu aller vorderst der Tatsache geschuldet, dass Europas Politiker ihr Wort in der Vergangenheit allzu oft nicht halten konnten. Versprechen wurden gebrochen, angekündigte Ziele nicht realisiert – ein ständiger Zickzackkurs hat die europäische Bevölkerung zu tiefst verunsichert. Das jüngste Beispiel hierfür ist die Zypernkrise: ein andauerndes Hin- und Her, Uneinigkeit in den eigenen Reihen, widersprüchliche und schnelllebige Entscheidungen, die kommuniziert und im Wechsel wieder revidiert wurden – der zyprische Zickzackkurs hat nicht nur Verunsicherung, sondern auch Existenzängste ausgelöst. Wen wundert es da, dass die Europäer nicht mehr an die EU glauben? Darüber hinaus spielen auch psychologische Faktoren eine wichtige Rolle innerhalb des sich derzeit vollziehenden Vertrauensverlustes. Es lässt sich ein immer stärkerer psychologischer Widerstand gegen die Eurozone vernehmen. Dieser beruht auf einem simplen Mechanismus, der im menschlichen Gehirn verankert ist, nämlich auf der Tatsache, dass wir in Krisenzeiten eine grundsätzliche Ablehnungshaltung gegenüber allem, was wir indes erleben, an den Tag legen. Unser Gehirn ist sehr stark in der sogenannten Objekterkennung verhaftet, so dass primär negative Erinnerungen gespeichert werden. Und genau deswegen glaubt auch keiner mehr an die Eurozone. Ein weiterer Grund für die aktuelle Situation besteht vor allem aber auch darin, dass der Währungsunion keine Wirtschaftsunion gefolgt ist, was dringend und bereits zu Zeiten von Kohl und Mitterrand hätte auf den Weg gebracht werden müssen.
2. Griechen, Spanier, Italiener, Iren und Zyprioten sehen sich als Opfer des deutschen Spardiktats. Die Deutschen wiederum fühlen sich als Zahlmeister Europas und verstehen die Undankbarkeit der südeuropäischen Staaten nicht. Herr Neun, wie schafft man Vertrauen?
Wie zeichnet man das Volairesche Bild einer „großen geistigen Gemeinschaft“? Eine große geistige Gemeinschaft bedarf vor allem einer übergreifenden Vision, also in diesem Fall eines übergreifenden europäischen Gedankens. Dieser darf allerdings nicht bloß in einer Währungsunion enden, sondern sollte meines Erachtens nach, wesentlich stärker am amerikanischen Vorbild einer einheitlichen Verfassung orientiert sein. Darüber hinaus zeichnet sich Vertrauen auch durch die Kalkulierbarkeit von Handlungen, Aussagen und Versprechen aus. Zuverlässigkeit ist das A und O. Viel zu oft wird die Öffentlichkeit mit „ungelegten Eiern“ konfrontiert. Politikern sei daher geraten, sich im Vorfeld zu einigen und erst dann klare Ziele zu kommunizieren, die realistisch sind und eingehalten werden können. Im Wirrwarr der politischen Machtkämpfe verliert der Bürger leicht den Überblick und somit die Orientierung. Daher ist es wichtig, positive Anreize zu schaffen und Erfolge zu verbuchen. Das persönliche Investment in die Institution Europa muss sich lohnen, damit der europäische Geist Fahrt aufnehmen und das Vertrauen weiter gesteigert werden kann. Denn eines dürfen wir nicht vergessen: Erfolge sind elementar, um Vertrauen in das Handeln nachhaltig zu festigen.
3. Wie sehen Sie Angela Merkels Rolle in der EU? Ist die deutsche Politik möglicherweise Schuld an der Anti-EU-Stimmung?
Die deutsche Politik ist ganz sicher nicht schuld an der aktuellen Negativstimmung in Europa. Ein derartiger Vorwurf ließe sich schlichtweg als Fehlinterpretation werten. Der wahre Grund kann nur in den zuvor genannten Rahmenbedingungen verankert sein, in den Verhaltensmustern aller Beteiligter. Frau Merkel nimmt innerhalb des Diskurses eine mahnende sowie eine logisch-analytische Rolle ein, die sehr wichtig in einer Krisensituation wie der unseren ist. Sie ist dringend notwendig, um sicherzustellen, dass der Euroraum nicht „explodiert“ und die Staatschuldenkrisen zum Dauerthema werden. Allerdings weisen Angela Merkel und ihr Kabinett auch einige Schwachstellen in der Umsetzung dieser logisch-analytischen Aufgabe auf. Die Europartner werden nach wie vor zu wenig integriert. Strategien müssen verstärkt in Zusammenarbeit entwickelt und deutlicher kommuniziert werden. Denn auch hielt gilt wieder: eine unstringente Kommunikation kann unnötig Widersprüche erzeugen.
4. Schuldenkrise und Vertrauenskrise, beide verstärken sich gegenseitig. Ein Teufelskreis aus dem es scheinbar kein Entkommen gibt. Oder doch?
Also zunächst einmal lässt sich die Schuldenkrise als eine Folge der Vertrauenskrise einstufen und nicht umgekehrt. Denn begonnen hat diese Entwicklung mit dem Vertrauensbruch der Banken und somit mit der Finanzkrise. In der Tat gibt es Wege aus diesem scheinbaren Teufelskreis heraus. Allerdings sind diese Wege ausschließlich wirtschaftspsychologischer Natur, da es in all diesen Prozessen nicht mehr darum geht, faktisch gute Finanzierungs- oder Absicherungsprogramme zu entwickeln, sondern reale Erfolge zu verbuchen. Den Menschen muss dringend Sicherheit vermittelt werden, um Zuversicht und Hoffnung zu erzeugen, dass die Politik durchaus Herr der Lage werden kann. Denn momentan zeichnet sich eher ein Bild der Hoffnungslosigkeit bei vielen Bürgern ab. Sie erachten die Politik als machtlos gegenüber der aktuellen Situation – eine Angst die sehr gefährlich für die europäische Idee werden kann. Daher ist es notwendig zu zeigen, dass dieser Prozess nicht selbstreferentiell ist, sprich unkontrolliert. Wenn uns das gelingt, dann bauen wir auch wieder den Glauben und das Vertrauen in die Eurozone auf.
5. Lassen Sie uns in den Bereich der Mantik eintauchen. Wie wird die europäische Union in 10 Jahren aussehen?
Wenn das Vertrauen der europäischen Bevölkerung in Europa nicht wieder hergestellt werden kann, wird die Eurozone in dieser Form künftig nicht mehr existieren. Sie wird sich dann maximal noch aus vereinzelten Euroländern zusammensetzen, die gemeinsam eine kleine und beschauliche Eurozone bilden. Der europäische Grundgedanke einer umfassenden Eurozone wäre damit obsolet.
Gelingt es allerdings, das Vertrauen in Europa wieder herzustellen, so muss dringend aus der Währungsunion eine Wirtschaftsunion und dann eine Rechtsunion geformt werden, die auf einer höheren Intensität und Vernetzung basiert. Der Drahtseilakt zwischen Gemeinschaft, Wirtschaft, Rechts- und Finanzierungsgemeinschaft muss bewältigt werden. Dabei darf das Bedürfnis nach Individualität hinsichtlich der eigenen Nation nicht vernachlässigt werden. Es gilt Individualität und Gemeinschaft ausgewogen miteinander zu kombinieren. Nur wenn dies gelingt, wird die Eurozone stärker, stabiler und kräftiger erblühen können denn je.
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QUELLE: Pressemitteilung Quadriga Communication GmbH.