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Wie eine „too big to fail“-Liste Schaden anrichtet

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2. November 2012

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Wie eine „too big to fail“-Liste Schaden anrichtet

Banken benötigen mehr Eigenkapital und dürfen als Spielorganisator mitmachen. Aber sie sollten sich nicht an den Tisch setzen dürfen. Stattdessen müssen intelligente Regeln auch für rettungssüchtige Politiker her.

Die aktuelle Liste der Institute, die zukünftig als systemrelevant eingeschätzt werden, wurde jetzt bekannt. Darauf finden sich vor allem die Banken, die schon im November 2011 dort zu finden waren. Die Deutsche Bank ist als einziges deutsches Institut genannt. Die Commerzbank nicht mehr.

Systemrelevanz

Wenn sich jetzt die Interpretation mancher Kommentatoren auch bei den Banken durchsetzt, dann ist für die Stabilität des Bankensektors wenig gewonnen: Wer nicht auf der Liste steht, der könne munter weiter zocken. So lautet der unterschwellige Tenor mancher. Das ist gelinde gesagt Blödsinn. Richtig ist: Keine Bank sollte die Kugel werfen dürfen und gleichzeitig am Tisch mitsetzen.

Richtig ist aber auch: Die Commerzbank war nie wirklich systemrelevant. Die HRE auch nicht. Denn Systemrelevanz gibt es gar nicht in einem weltweiten Billionen-System, in dem einzelne Banken, so groß sie auch sein mögen, nicht mal umfallen können. Die Systemrelevanz war und ist eine schöne von der Bankbranche erfundene Ausrede, die sich Politiker zueigen gemacht haben. Man befürchtete damals mangels Routinen für die Abwicklung ein zeitweises Chaos durch den Untergangs eines größeren Instituts.

Der Denkfehler

Das Problem ist nicht die Größe eines Instituts, sondern dessen Vernetzung. Die Abwicklung von Lehman Brothers und AIG hat das lange Zeit später gezeigt. Nach einigen Jahren, die man für den Durchblick bei OTC-Derivaten der Institute benötigte, stellten sich geringere Verluste als zunächst befürchtet heraus. Die denklogische Konsequenz daraus ist ganz einfach: Statt „to big to fail“ müsste die Aufgabe der Regulierer und Staaten sein, die Banken herauszufiltern, die „too connected to fail“ sind. Das können die gleichen Institute sein, aber man könnte auch zu anderen Ergebnissen kommen.

Das ganze Konzept, Banken nach Größe, Bilanzsumme und anderen Kriterien einzuschätzen, ist ehrenwert aber nicht sonderlich hilfreich, wenn man künftige Katastrophen vermeiden will. Als Beispiel dient der LTCM. Das war ein Hedgefonds, dessen Macher sich bei der gesamten Elite der Wall Street Geld geliehen hatten. Diese hatten milliardenschwere Kredite an den LTCM in den Bücher, die via riskanter Wetten an den Anleihemärkten verloren wurden.

Hieraus lässt sich relativ einfach schlussfolgern, dass man ein Verbot benötigt, mit Fremdkapital das eigene Eigenkapital zu überdehnen. Im Benkersprech finden sich an dieser Stelle verschleiernde Vokabeln wie „Leverage“ und „Leveragen“. Bankseitig sind solche Geschäfte zu verbieten oder einzuschränken. Der LTCM drehte einfach ein viel zu großes Rad und bewegte zu seiner Zeit 50mal mehr als er sich leisten konnte. Oder anders ausgedrückt: Liegt der Fonds mit seiner Wette falsch, dann genügt ein Rückgang des unterlegten Investments um zwei Prozent, um das Eigenkapital komplett zu vernichten. Genau das passierte beim LTCM, der überwiegend auf Spreads bei russischen Anleihen unterschiedlicher Laufzeit wettete.

Der Nachteil von Regeln

Die Regulierung von Banken nach den Basel-Regeln hat einen erkennbaren Nachteil. Die größeren Banken versuchen nicht mehr, ein Geschäftsmodell mit eigenen Risikovorstellungen aufzuziehen, sondern robben sich an die Grenzen der Regulierung heran. Gekauft wird, was noch in die Bilanz passt.

„Darf es noch etwas Risiko sein? Ich muss mal meinen Regulierer fragen.“ Ein System, das diese Fragen für relevant erklärt, kann dauerhaft nur Probleme produzieren, denn alle größeren Banken stehen dadurch gleichzeitig an der Klippe. Genau das sollte aber in einem Finanzsystem nicht passieren. Es sollte Akteure geben, die unterschiedlichste Ideen verfolgen. Nur so entsteht ein stabileres Ganzes. Scheidet in solch einem System ein Teilnehmer aus, dann stellt sich die Frage nach der Systemrelevanz gar nicht erst.

Starre Regeln sind also nicht nur ein Segen, sondern inzwischen Teil des Problems. Wer wirklich regulieren will, der kann das auch. Entgegen mancher Behauptung funktioniert das auch auf nationaler Eebene. Die Schweizer haben das seinerzeit vorgemacht, als sie ihren Banken höhere Eigenkapitalvorschriften machten. Die Banker in Zürich reagierten und schrieben sogar, dass Investmentbanking wohl nicht mehr gewünscht sei.

Geeignete Regeln

Wer die Finanzwelt tasächlich regulieren will, der setzt klare Regeln durch und zwar ohne Ausnahmen für kleine Banken. Die angeblich so wichtige Frage, wer Banken zukünftig beaufsichtigt in Europa, ist nur eine weitere Scheindebatte.Denn egal wer später kontrolliert: Auf die richtigen Regeln kommt es an.

Hier einige Vorschläge:

1. Banken dürfen keinen Eigenhandel betreiben, der sich erfolgswirksam auf die Bilanz auswirkt. Absicherungen von Produkten und Geschäften bleibt natürlich erlaubt.

2. Banken dürfen keine Kredite an eigene Töchter oder Fremde ausreichen, die eine bestimmte Größenordnung erreichen. Das Fremdfinanzieren von anderen Finanzinstituten, die reine Finanzgeschäfte betreiben, ist verboten. Geschäfte zur Umgehung von Regel 1 sind verboten und strafbewährt.

3. OTC-Derivate müssen komplett und regelmäßig offengelegt werden. Besser wäre der Verzicht auf außerbörsliche Derivate-Geschäfte durch ein Verbot.

Diese drei Hinweise folgen den Regeln von Paul Volcker, die in den USA und anderswo von Politikern verschlimmbessert wurden. (Zur Diskussion hier ein Artikel)

Politiker und ihre Verantwortung

Politikern müssen Handfesseln angelegt werden. Bedeutet: Die Staaten sollten das Retten von Banken durch die Steuerzahler in den eigenen Verfassungen verbieten. Damit wissen die Banker, dass sie keine implizite Rettungsgarantie haben. Damit wäre das Erpressungspotenzial, das Angela Merkel mal festgestellt hatte, nicht mehr vorhanden.

Ferner sollte man Regelungen zwingend einführen, die es Nachfolgeinstituten verbieten, Vorständen Ruhestandsbezüge zu gewähren oder zu übernehmen, falls diese vorher ihre Bank an die Wand gefahren haben. Das ist vermutlich das einzige wirksame Instrument, um Bankpleiten zu verhindern. Die Bankchefs benötigen also Anreize, um rechtzeitig das Steuer herumzureissen oder sich in eine geplante Insolvenzphase zu begeben. Ansonsten wird bis zum letzten Cent gezockt. Das zeigt uns die Erfahrung der letzten fünf Jahre.

Es bedarf einer staatlichen Institution, die das realwirtschaftliche Geschäft eines Instituts sofort übernehmen kann, um Panik zu vermeiden. Diskussionen über Entschädigungen von Anteilseignern sollte man ebenfalls künftig einen Riegel vorschieben. Warum man bei der HRE Christopher Flowers und anderen Geld für wertlose Anteile an der HRE anbot, wird immer das Geheimnis der Beteiligten bleiben. Enteignen kann man Anleger schließlich nur, wenn noch etwas vorhanden ist. Noch heute beschäftigen sich Gerichte mit der HRE. Nicht nur die Führung der Bank hat versagt, sondern die Anleger haben es jahrelang versäumt, den Vorstand auf ein nachhaltiges Geschäftsmodell zu setzen. Das mag im Einzelfall für manche betroffene Anleger ärgerlich sein, aber so funktioniert das Spiel.

Mein Fazit: Statt tolle Regeln für Situationen zu konstruieren, die so wohl nie wieder enstehen werden, sollten die Regulierer die Grundfunktionsweisen des Systems sicherstellen und verteidigen. Wer ein Risiko begründet, der musss dafür haften. Und: Politiker sollten ebenfalls Einschränkungen bei ihren Rettungsaktionen erfahren.

Artikelbild: Allie_Caulfield. Wiki Commons.
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Der Autor

Thorsten Cmiel

Thorsten Cmiel ist Chefredakteur von Investment Alternativen. Der studierte Ökonom ist seit über 15 Jahren als Finanzjournalist und Buchautor tätig.