Peer Steinbrück – Meister der Halbwahrheiten
Der Kanzlerkandidat der Sozialdemokraten ist ein rhetorisches Talent. Seine Reden wirken, denn fast immer gibt man ihm recht. Dahinter steckt die Methode der Halbwahrheit.
Halbwahrheit heißt beim Hanseaten Steinbrück nicht die Unwahrheit oder gar eine Lüge zu sagen, sondern er lässt gerne Teile der Wahrheit einfach weg. Das hat Steinbrück selbst mal in einer Bundestagsrede zu Banken erläutert und als rhetorischen Trick bezeichnet. Er verzichtete damals auf Bemerkungen zu Landesbanken, welche die schöne Gesamtkritik an Bankern massiv gestört hätten. Gelegentlich leitet Steinbrück seine Reden mit dem Hinweis ein, auf Details wolle er verzichten und lieber das große Ganze beleuchten. Auch das dient mehr dem eigenen Redezweck als der intellektuellen Redlichkeit. Dabei hilft Steinbrück auch der ihm eigene Telegrammstil, der oft wie ein verbaler Staccato, also stark verkürzend, daher kommt.
Die Idee und Intention dieser Redemethode ist einfach. Was Steinbrück sagt klingt nach Klartext, ist es aber oft wegen der weggelassenen Teile nicht. Typischerweise lässt man den eigenen Verantwortungsbereich links liegen und kümmert sich mit Verve um den politischen Gegner oder diejenigen, die es gerade zu kritisieren gilt. Um diese rhetorische Methode fair einzuordnen: Das beschriebene Redekonzept ist unter Politikern verbreitet, aber wenige haben es hierbei derart zur Perfektion gebracht wie Peer Steinbrück. Er ist der Meister der Halbwahrheiten.
Der Kandidat Peer Steinbrück will nicht nur ein guter Redner und Schreiber von Aufsätzen bleiben, sondern Bundeskanzler werden. Dafür muss man aber mehr können als gute Reden halten und markige Sprüche raus hauen. Ein guter Redner ist schließlich Guido Westerwelle auch. Bei dem halten die Pointen allerdings oft nur zwei Sätze. Kanzler traut Westerwelle niemand zu.
Was einen Bundeskanzler auszeichnet
Ein Bundeskanzler muss Informationen, die an ihn herangetragen werden, abwägen und Beeinflussungsversuche im Ansatz schon erkennen. Genau an dieser Stelle hat Peer Steinbrück in der Vergangenheit bereits öfter daneben gelegen als ihm heute lieb sein dürfte. Ein Bundeskanzler muss zudem durchaus Nehmerqualitäten haben. Genau an dieser Stelle mangelte es bislang bei Steinbrück, der in Bezug auf die eigene Person oft sehr dünnhäutig zu sein scheint. Zudem ist sein gelegentlich aufbrausendes Temperament sicherlich keine Eigenschaft, die einen Kanzler auszeichnen sollte.
Aber: Steinbrück hat die durchweg positive Eigenschaft lernfähig zu sein. Die ZEIT sieht den eigenen Kolumnisten übrigens so: „Peer Steinbrück hat sich nicht nur als Parteipolitiker einen Namen gemacht, sondern auch als Experte für klare Worte. Als Sprachrohr des gesunden Menschenverstandes, wo andere im Politsprech erstarren.“ Und in der Tat sind die Kolumnen „Zur Sache“ in der Regel eine sehr anregende Lektüre. Ob Peer Steinbrück aber in einer konfrontativen Situation mit dem politischen Gegner oder Parteifreunden zum Räumen ehemaliger Positionen in der Lage ist, darf bislang bezweifelt werden. Seine Eitelkeit steht ihm oft im Weg.
Angela Merkel jedenfalls hat ihre Position in Fragen der Atomkraft total revidiert. Das mögen manche CDU-Anhänger für falsch halten und Widerstände gab es auch genügend, aber Angela Merkel zeigte Mut und Entschlossenheit bei der Aufgabe einer wichtigen Grundposition ihrer Partei. Eine eindeutige Stärke der Kanzlerin.
An Sprüchen gemessen
Peer Steinbrück wird vielfach mit einigen markigen Sprüchen in Verbindung gebracht. Manche dieser Sätze werden ihm heute nicht mehr gefallen. Harmlos ist noch: »Der Euro ist für Deutschland eine Schicksalsfrage.« Das klingt nicht wirklich wie eine Alternative zum Mantra der Kanzlerin, die sagt: »Scheitert der Euro, dann scheitert Europa.«
Während einer Pause eines G20-Finanzminister-Treffens formulierte Steinbrück im Hinblick auf das Bankgeheimnis in der Schweiz: »Die Kavallerie in Fort Yuma muss nicht immer ausreiten, manchmal reicht es, wenn die Indianer wissen, dass sie da ist.« Die Schweizer reagierten verschnupft und bestellten sogar den deutschen Botschafter ein. „Der hässliche Deutsche“ titelte der Schweizer „Blick am Abend“. Seither ist klar, dass Diplomatie nicht die größte Stärke von Peer Steinbrück ist.
Früh erkannte Steinbrück, dass die Krise keineswegs ausgestanden war: »Diejenigen, die mit Blick auf die Finanzkrise voreilig von Licht am Ende des Tunnels gesprochen haben, müssen nun feststellen, dass das in Wirklichkeit der entgegenkommende Zug war«.
Wie Steinbrück in die New York Times kam
Im Interview mit der Newsweek sagte Steinbrück eigentlich nichts dramatisch Kritisierbares. Er erläuterte, dass man als Politiker der Versuchung widerstehen sollte, jedes Stimulus-Programm umzusetzen. Die Bundesregierung plante damals schon ein Paket, das später noch deutlich ausgebaut werden musste.
Die Antwort auf das Interview kam praktisch noch vom Parkett der Nobelpreisverleihung. Paul Krugman erhielt am 10. Dezember 2008 den Nobelpreis (Foto) und schrieb am 11. Dezember in seiner Kolumne, warum Peer Steinbrück mit seinen Anmerkungen falsch liegt: „The economic consequences of Herr Steinbrueck„.
Den studierten Volkswirten Peer Steinbrück dürfte die Schärfe der Reaktion überrascht haben. Auch ist es vermutlich keine schöne Erfahrung von sozusagen höchster Instanz derart verbal abgestraft zu werden. Dabei wurde Steinbrück falsch verstanden. Er kritisierte nicht den Keynesianischen Ansatz, sondern die Geschwindigkeit, mit der Positionen aufgegeben wurden.
Allerdings – und insofern war die Kritik berechtigt – hatten damals der Finanzminister und Angela Merkel europäischen Bemühungen der gemeinsamen Gegenmaßnahmen einen Riegel vorgeschoben. Krugman versteht wie viele Amerikaner das Problem der europäischen Politik und des ständigen Verteilungskampfes auf dem alten Kontinent nicht. Auf der anderen Seite schätzte Krugman das Risiko von Zögern besser ein als der deutsche Finanzminister. Es folgte ein Rückgang des Bruttoinlandsproduktes (BIP) um fünf Prozent.
Der Streit Krugman-Steinbrück dürfte unentschieden ausgegangen sein. Steinbrück brachte es mit seinem Interview immerhin zu globaler Aufmerksamkeit.
Kritisieren reicht nicht
Bei der Vorstellung seines Bankenpapiers beispielsweise argumentierte Steinbrück unter anderem mit dem Argument „Gerechtigkeit“. Eine unscharfe Vokabel, die ihm vor einigen Jahren, als er noch kein Kandidat war, oder eine Kandidatur noch nicht beabsichtigte, weniger leicht über die Lippen gekommen wäre. Denn wer suggeriert mit der Einführung einer Finanzmarkttransaktionssteuer Gerechtigkeit schaffen zu können, der irrt gewaltig. Auch ist es intellektuell nicht sonderlich redlich pauschal zu behaupten, dass die Börsenteilnehmer an der Krise verdient hätten und jetzt zur Kasse gebeten werden sollen. Richtig ist, dass in den USA ein Spiel mit Immobilien stattfand, die via Zertifikatehandel in Deutschland in die Bücher von Banken gerieten. Diese Pakete wurde eben nicht über Börsen verkauft, sondern waren ein OTC-Geschäft (over the counter = außerbörslich). Wenn der Staat jetzt also die Börsenmarktteilnehmer zusätzlich besteuert, dann ist das legitim, aber kein Beitrag zu nachträglicher Gerechtigkeit, sondern eine neue Einnahmeidee des Staates. Das könnte ein Klartext-Politiker wie Steinbrück natürlich offen sagen.
Vergangenheit
Bei linken Parteigenossen wird Steinbrück im Gespräch außerhalb des Protokolls kritisch gesehen. Steinbrück selbst sagt über Angela Merkel und ihre Finanzpolitik: »Das Kurzzeitgedächtnis ist ein sehr großer Schutz für dieses Krisenmanagement der Bundeskanzlerin«. Kritiker werfen ihm selbst ein Kurzzeitgedächtnis über die eigenen Fehler vor.
Peer Steinbrück hat Dinge an die er nicht gerne erinnert wird. Dazu gehört die Unterstützung für den Kölner Sparkassenchef Gustav Adolf Schröder, dieser wechselte nach Skandalen, für die sich sein Nachfolger entschuldigte, als Finanzvorstand zur Kohlestiftung RAG. „Sein Parteikollege, der ehemalige Ministerpräsident von NRW, Peer Steinbrück, hatte sich für Schröder eingesetzt, zu einem Zeitpunkt, als die meisten Vorwürfe gegen den einstigen Sparkassenchef längst bekannt waren. Als der öffentliche Druck größer wurde, musste Schröder im Jahr 2009 von seinem Posten bei der Stiftung zurücktreten.“ (aus: Die ZEIT vom 11.05.2012)
Auch seine Zeit als Aufsichtsrat bei der WestLB war, sagen wir mal, neutral formuliert eher glücklos. Der Mann, der sich gerne als Querdenker und unbequem gibt, hat die Risiken bei der WestLB als Mitglied der Aufsichtsgremiums zusammen mit anderen durchgewunken. Das Risiko des Landes belief sich in der Spitze auf 77 Milliarden Euro.
Wer andere wegen ihrer Nachlässigkeiten und Gier gerne lautstark kritisiert, der muss für sich einen harten Maßstab gelten lassen. Der FDP-Bundestagsabgeordnete Frank Schäffler bescheinigte Steinbrück schon im Juni 2009 „maßgeblich am Desaster beteiligt“ zu sein. Es geht hierbei weniger um eine formaljuristische Schuld, sondern mehr um die politische Verantwortung, denn Steinbrück war an herausragender Stelle aktiv. Auch fehlt bislang die allgemeine Einsicht bei Steinbrück, dass Politiker in Deutschland via Landesbanken etwa die Hälfte der hierzulande angehäuften Verluste verantworten. Er spricht stattdessen lieber anonym von Eliten, zu denen er sich zumindest diesmal – Vorsicht: rhetorischer Trick – dann nicht zählt.
Linke Parteigenossen werfen Steinbrück vor, als Finanzminister die Banken gerettet zu haben. Das ist zwar etwas kurz gesprungen, aber inzwischen hat Steinbrück bezogen auf die 2007 gerettete IKB eingeräumt, dass deren Rettung ein Fehler war. Ein ziemlich teurer Fehler. Denn hier wurde ein Signal an die Bankenbranche gegeben, das fatal war.
Peer Steinbrück zwischen Tagträumen und Klartext
Peer Steinbrück ist erfahren genug, um zu wissen, dass er sich in einem zu engen Korsett seiner Partei schnell in Widersprüche verheddern würde. In Münster wünschte sich Steinbrück daher etwas „Beinfreiheit“. Diese ist in der Tat notwendig. Die erste Bewährungsprobe steht bereits in wenigen Wochen an. Man wird sehen, wie der parteiinterne Kompromiss bei der Rente mit 67 und beim Rentenniveau ausfallen wird. Denn Steinbrück dürfte als ehemaliger oberster Kassenwart wissen, dass die Spielräume für Tagträume bei der Rente nicht vorhanden sind. Stattdessen befindet man sich „Im Schraubstock der Demografie„. Sagt er seinen Parteigenossen diese Adam-Riese-Wahrheit, dann dürfte es keine wesentlichen Veränderungen am beitragsfinanzierten Rentensystem geben. Eine steuerfinanzierte Ergänzung, wie im Ursprungspapier der SPD vorgeschlagen, ist denkbar und sinnvoll. Noch besser wäre freilich eine steuerfinanzierte Sockelrente. Ein Kompromiss, der die Rente mit 67 oder das Rentenniveau korrigiert, um den eigenen linken Flügel seiner Partei zu befrieden, wäre ein inakzeptables Zugeständnis für den Kopfmenschen.
Die Chance des Peer Steinbrück
Peer Steinbrück könnte aus der Not eine Tugend machen. Auf dem Parteitag im November könnte Steinbrück eine Rede halten, die Fehler bei der Agenda-Politik einräumt und deren Korrektur in Aussicht stellt. Die Einsicht hat er ohnehin schon. In seiner Partei wissen das nur die Linken meist noch nicht. In einem ZEIT-Artikel („Mir gab das zu denken„) hat Steinbrück fehlerhafte gesellschaftliche Entwicklungen festgehalten. So ist er inzwischen beispielsweise für einen flächendeckenden Mindestlohn.
Eine solche Rede wird Peer Steinbrück vermutlich nicht halten. Aber vielleicht überrascht Steinbrück seine Partei und deren linken Flügel ja im November. Falls nicht bleibt Steinbrück bis zur Wahl nur der „Meister der Halbwahrheiten“.
Artikelbild: Homepage Peer Steinbrück.
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