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Gauck hält „seine“ große Rede schon jetzt

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16. November 2012

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Gauck hält „seine“ große Rede schon jetzt

Joachim Gauck legt ein ordentliches Tempo vor. Seine erste große Rede als Bundespräsident stand unter der Überschrift »Freiheit ermöglichen, Verantwortung wahrnehmen«. Nebenbei las er der deutschen Elite die Leviten.

 
Bundespräsidenten sollten mindestens einmal eine überzeugende Rede in ihrer Amtszeit halten, die Bestand hat. Das schaffen längst nicht alle. Richard von Weizsäcker ist es gelungen, Roman Herzog mit seiner Ruck-Rede und Johannes Rau. Die Vorgänger von Gauck haben diese Leistung nicht vollbracht.

Der Kurzzeit-Präsident Christian Wulff hat sich immerhin bemüht und den Muslimen in einer Rede die Hand gereicht. Das fand Anerkennung und doch hat er die Religions-Anhänger mit der Religion verwechselt. Horst Köhler organisierte über Jahre Wirtschaft auf der politischen Seite an herausragender Stell und ihm fiel in einem Interview zur Krise nur ein, dass Finanzmärkte „Monster“ seien. Dafür bekam er unangebrachtes Lob, dabei zeigte der verwendete Begriff für den Regelmechanismus nur, dass der Erfinder des Zusammenhangs die Krise und ihre Ursachen nicht wirklich verstanden hat. So etwas passiert Joachim Gauck nicht. Natürlich nicht.

Präsident ohne Etikett

Dieser Präsident schreibt nicht nur, dass er unbequem sein will. Er ist es auch: In Israel kassierte er ungelenke Solidaritätsbekundungen von Angela Merkel ein, ohne die Israelis zu verprellen. Der Islam erklärte er einmal, sei nicht Teil Deutschlands, die Menschen dieser Religionsgemeinschaft aber schon. Der Aufschrei hielt sich in Grenzen. Jetzt erklärte Gauck, wie das mit der Verantwortung und der Wirtschaft funktioniert. Die Elite klatsche Beifall und war doch selbst angesprochen.

Vor seiner Wahl hatten einige voreilige Protagonisten der politischen Linken Joachim Gauck kritisiert. Er sei zu konservativ und irgendwie verdächtig, da er sich weigerte, die Occupy-Bewegung über den Klee zu loben. Sicherlich würde er heute als Bundespräsident seine Worte anders wägen, aber in der Sache lag er richtig und das präzisierte Gauck jetzt auf seine Weise, indem er die Zusammenhänge besser erläuterte. Er erklärte die Finanzkrise als erster Bundespräsident. Gauck sieht Verantwortung nicht einfach bei den Bankern, die seit 2008 als Schuldesel herhalten müssen. Die gesamte Elite in Wirtschaft und Politik habe versagt. Besonders ärgert den Präsidenten offenbar, dass niemand Fehler zugibt. Aber auch Verbraucher können gegen billige Waren aus dem Ausland protestieren statt diese nur zu kaufen.

Herausgekommen ist in Berlin viel Kluges verpackt in der Wortgewalt des Pfarrers, der ein geborener Redner ist.  Joachim Gauck hielt am 15. November 2012 „seine“ erste große Rede beim „Treffen Führungskräfte Wirtschaft 2012“ im Hotel Adlon in Berlin.

»Freiheit ermöglichen, Verantwortung wahrnehmen«

Auszüge: »…Auch einige Führende erwiesen sich als Verführte, manchmal auch als Verführer: mit ihrem Gewinnstreben und ihrer Gier – nicht nur im Finanzsektor, mit ihren Wohlstandsversprechen und überbordenden Wachstumsfantasien – nicht nur in der Politik, mit ihrer Gutgläubigkeit und ihren überzogenen Erwartungen – nicht nur auf der Kundenseite. Maßlosigkeit hat uns in diese Krise geführt. Zu spät bemerkten viele Akteure: Wenn das Augenmaß verloren geht, schwinden Basiswerte – Verlässlichkeit, Berechenbarkeit, Vernunft und immer wieder Vertrauen. Nicht alles, was legal war, empfinden wir heute als legitim. Wir sehen: Überall dort, wo das vernünftige Maß nicht mehr Maßstab war, wo Freiräume überdehnt und missbraucht wurden – im Kreditwesen, bei Schattenbanken, im Immobiliensektor oder auch bei öffentlichen Haushalten wie bei der privaten Verschuldung – überall dort hat die Krise nach uns und um sich gegriffen. Aus Verantwortungskrisen wurden Wirtschaftskrisen und Staatsschuldenkrisen, weil Ansprüche und Anstrengungen einander nicht mehr entsprachen…

Die Zusammenhänge sind komplex, Probleme haben sich oftmals über Jahre oder gar Jahrzehnte kumuliert. Schuldzuweisungen gibt es jede Menge. Und eher selten sind es die Führungskräfte aus Wirtschaft und Politik, die bekennen: „Ich habe einen Fehler gemacht“…

In der Vergangenheit lag eine bequeme Lösung im Verschieben von Verantwortlichkeit ins Abstrakte. Das heißt dann etwa so: „Der Markt hat versagt.“ „Die Regulierung hat gefehlt.“ „Die Sanktion hat nicht gegriffen.“ Schuld war „das System“, „die Politik“ oder am besten gleich: „die Globalisierung“ oder noch simpler „der Kapitalismus“. Hören wir uns eigentlich noch zu? Wir sprechen so über einen abstrakten Feind, der unüberwindbar klingt wie Militärmacht und Mauern des Kalten Krieges. Das Problem einer solchen Abstraktion ist: In dieser Welt gibt es niemanden, mit dem man verhandeln, Kompromisse finden, Kooperationen entwickeln oder gar Frieden schließen könnte…

Ich sehe Führungskräfte in einer dreifachen Verantwortung: nach innen, nach außen und für ein kooperatives Miteinander in unserer Gesellschaft. Ich kann es auch so ausdrücken: Es geht um die Verantwortung für den Erfolg des Unternehmens am Markt. Es geht um die Verantwortung für die Akzeptanz des Unternehmens in der Gesellschaft. Und es geht um die Verantwortung für die Regeln, die gelten sollen im Zusammenleben. Diese Kategorien überlappen sich, genauso wie das Leben, das sich ja auch nicht trennscharf definieren lässt. Entscheidend ist für mich bei dieser Trias: Führung verpflichtet nicht nur in einer Hinsicht. Eine der wichtigsten Lehren aus der Krise war, dass wir unseren Blick beständig weiten müssen: von den originären unternehmerischen Aufgaben über Faktoren wie Glaubwürdigkeit und Vertrauen bis hin zu den großen ethischen und sozialen Themen…

Meine Grundeinstellung hat sich freilich verändert. Ich liebe die Freiheit. Ich bin nicht bereit, sie der Angst zu opfern. Auch in Krisenzeiten dürfen wir nicht glauben, zukunftsfähig zu werden, indem wir der Wirtschaft die Freiheit nehmen, die sie stark macht. Aber der Einschnitt von 2008 hat doch einen Irrtum offenbart. Allzu viele haben sich damals in den 90er-Jahren den „schlanken Staat“ auf die Fahnen geschrieben. Weil wir hofften, mit weniger Bürokratie das Wachstum zu fördern. Echtes Wachstum, keine Scheinprosperität, keine Maßlosigkeit. Im Bankensektor und an den globalen Finanzmärkten war dies in mancher Hinsicht dann leider ein Fehler! Die wichtigste Botschaft der Beflaggung hätte dem handlungsfähigen und handlungswilligen Staat gelten müssen! Stattdessen haben wir Freiheit und Verantwortung auseinanderdriften lassen und müssen sie nun wieder enger zusammenführen, ja: führen!…«

Quellen

Wem eine Kurzzusammenfassung reicht, der wird bei der Süddeutschen Zeitung fündig, die der Organisator der Veranstaltung in Berlin war. Ob die Rede als „Wutrede“ in die Geschichte eingeht, das darf noch bezweifelt werden. Denn der Bundespräsident wirkte ziemlich bedacht und wählte dennoch klare Worte.

Wer die Rede im Original und komplett lesen will, der wird hier fündig.

Artikelbild: Bundespräsidialamt.
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Der Autor

Thorsten Cmiel

Thorsten Cmiel ist Chefredakteur von Investment Alternativen. Der studierte Ökonom ist seit über 15 Jahren als Finanzjournalist und Buchautor tätig.