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ESM: FIRE vielleicht das Modell der Stunde

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9. Juli 2012

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ESM: FIRE vielleicht das Modell der Stunde

Dr. Friedrich Heinemann*, Wissenschaftler am Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung Mannheim, im Gespräch über FIRE. FIRE steht dabei für „fiscal interest rate equalization“. Ein Gespräch über den Vorschlag eines fiskalischen Zinsausgleichs im Euroraum, Panikwellen und Griechenland.

*Dr. Friedrich Heinemann gibt am 10. Juni 2012 als Sachverständiger bei der mündlichen Verhandlung zum ESM im Bundesverfassungsgericht eine ökonomische Stellungnahme ab.

Ihre Einschätzung bitte: Sehen wir derzeit eine Euro-Krise oder eine Staatsschuldenkrise?

Wir sehen eine Staatschuldenkrise, im Sinne einer Vertrauenskrise um die Finanzierbarkeit von Staatsschulden. Die aktuelle Situation ist keine Euro-Krise im engeren Sinne, weil wir keine erkennbaren dramatischen Wechselkursveränderungen des Euro beobachten. Das wird manchmal herbei geschrieben, aber objektiv gesehen ist die Schwankungsbreite des Wechselkurses relativ moderat.

Sie haben einen Vorschlag zur Lösung gemacht. FIRE. Erläutern Sie bitte kurz Ihren Ansatz.

Die Grundidee ist eigentlich ziemlich einfach und fast auch naheliegend. Wir haben im Kern des Problems eine Entwicklung an den Anleihemärkten, bei der wegen der Panik die Zinsen nach oben geschossen sind und die deutschen, niederländischen und finnischen Zinsen auf ein unnatürlich niedriges Niveau abgesunken sind. Meine Idee von FIRE läuft darauf hinaus, dass die Länder mit den guten Bonitäten einen Teil ihres Zinsgewinns einsetzen, um die hohen und untragbaren Zinsen von Italien und Spanien herunter zu subventionieren.

Sie haben ein Umverteilungsvolumen von 5,7 Milliarden Euro für 2012 ermittelt. Worauf bezieht sich diese Zahl?

Es handelt sich um das gesamte Emissionsvolumen des Jahres 2012. Ich habe sozusagen die größten Brocken herangezogen: Spanien und Italien. Hier lautet die konkrete Frage, wie man mit diesen Ländern umgeht. Für diese Spanien und Italien sind die Rettungsschirme zu klein. Was macht man dann? Will man die Rettungsschirme auf Billionen-Beträge herauf fahren? An dieser Stelle ist mein Lösungsansatz viel zielgenauer. Man muss dazu sagen: Diese 5,7 Milliarden werden für die gesamte Laufzeit der begegebenen Anleihen in jedem Jahr erneut fällig. Nehmen wir eine Laufzeit von fünf Jahren an, dann verpflichten sich die Geberstaaten diese 5,7 Milliarden fünfmal zu zahlen. Das Gesamtvolumen ist also nicht wenig, aber es handelt sich hierbei um eine offene Lösung. Ich habe die Zahlen verglichen mit Eurobonds, die sind viel teurer und die tatsächlichen Lasten werden versteckt.

Wie sind Sie auf die fünf Prozent als akzeptablen Zins für Italien und Spanien gekommen? Kann man solch einen Zins theoretisch ermitteln?

Man benötigt einen Zinssatz, der fundamental gerechtfertigt ist für die Länder. Den Zinssatz kann vermutlich niemand seriös ermitteln. Ob es 4,5, 5 oder 5,5 Prozent sind, kann niemand mit Sicherheit sagen. Ich habe mich in der Beispielrechnung leiten lassen von Markteinschätzungen. Marktteilnehmer haben mehrfach gesagt, dass sie sich nicht vorstellen können, dass Italien mit einem Zinssatz von mehr als fünf Prozent klar kommen kann. Natürlich kann Italien mit Zinsen zurecht kommen, die über den deutschen Zinsen liegen, aber die fünf Prozent gelten als kritisch und sind daher ein guter Anhaltspunkt.

Gibt es Möglichkeiten das Konzept zur eigenen Spekulation zu nutzen und so auszuhebeln?

Das Konzept verteilt Gelder der Spekulanten um. Letztlich würde einen Spekulationsgrund wegfallen, denn steigende Zinsen können das Land nicht weiter destabilisieren. Steigende Zinsen würden Spanien nicht mehr so treffen, denn Spanien wäre abgeschottet und ein starkes Argument für die Kraft der Spekulation würde wegfallen.

Ihre Lösung setzt voraus, dass deutsche Politiker akzeptieren, dass die Zinsen das Resultat der Krise sind und nicht das Ergebnis eigener guter Leistung.

Die Politiker, gerade in den Bundesländern, nehmen die niedrigen Zinsen dankbar an, denn diese ersparen eigene Konsolidierungsmaßnahmen. Aber es besteht überhaupt kein Zweifel daran, dass die extreme Zinssituation ein Krisensymptom ist. Fundamental sind negative Realzinsen und manchmal sogar negative Nominalzinsen nicht gerechtfertigt. Verantwortlich ist dafür eine panische Flucht in die „sicheren Häfen“.

Sehen Sie größere Spekulationen gegen Staaten? Oder ist das Rhetorik, wenn von Hedgefonds in New York die Rede ist?

Wir sehen keine Willkür im Markt. Es werden die Staaten unter „Feuer“ genommen, bei denen ansatzweise Zweifel bestehen. Es ist schon so, dass sich eine Welle des Misstrauens und der Panik selber verstärkt. Das sind keine bösen Hedgefonds, sondern das ist eine Marktdynamik, die gegen ein Land läuft. Diese unselige Abwärtsdynamik muss man blockieren. Es gibt verschiedene Wege dazu, aber ich denke, dass das FIRE-Konzept hierzu das wirksamste Medikament mit den geringsten Nebenwirkungen ist.

Wieso kommt erst jetzt so ein einfacher Vorschlag ins Spiel?

Das fand ich auch überraschend. Man verfolgt die Krise und man analysiert Zusammenhänge. Die Idee kam mir in der Tat erst vor sechs Wochen, als ich über die Krisendynamik nachgedacht habe. Es musste eine einfachere Lösung geben, die jenseits der gemeinsamen Haftung liegt. Ich habe umfangreich recherchiert, denn es kam mir seltsam vor, dass so eine naheliegende Idee nicht vorher bereits diskutiert wurde. Es hatten in der Tat zwei bis drei Wissenschaftler diese Idee schon einmal angerissen. Aber niemand hatte das Konzept konsequent durchdacht und quantifiziert. Wenn diese Idee vor einem Jahr mal benannt worden wäre, dann hätte das vielleicht eine Lösungsvariante werden können.

Wie schätzen Sie die aktuelle Situation an den Finanzmärkten ein?

Man darf sich von der jetzigen Börsenentwicklung nicht beeindrucken lassen. Seit zwei Jahren erleben wir ein Wechselbad von Panik und dann wieder Hoffnung. Der Sinn meines Vorschlages ist es, wenn es zu einer Zuspitzung kommen sollte, was wir alle nicht hoffen, könnte so ein Vorschlag helfen, Eurobonds abzublocken mit dem Argument: Wir haben ein besseres, ein genaueres Mittel, das nicht so viele Nachteile hat.

Beispielsweise, wenn das Bundesverfassungsgericht die aktuellen Lösungen stoppt…

Stimmt. Das wäre ein schwerer Schock. Wenn dann eine Panikattacke ausbricht, dann wäre das FIRE-Konzept vielleicht das Modell der Stunde.

Griechenland kam in Ihren Überlegungen nicht vor. Warum?

Die jetzigen Programmländer Griechenland, Portugal und Irland haben bereits eine Lösung. Insofern sind die nicht dabei. Stünden wir noch am Anfang, dann würde ich diese auch einbeziehen. Griechenland ist ohnehin ein Fall, bei dem würde FIRE nicht funktionieren. Denn FIRE kann die Märkte immer nur dann beruhigen, wenn eine Aussicht besteht, dass ein Land auf Dauer zu moderaten Zinsen klarkommt. Das Konzept hilft nicht bei einer Konkursverschleppung. Wenn ein Land so hoch verschuldet ist und keine Wachstumsperspektive hat, dann werden die Märkte sich durch eine Zinssubvention nicht beeindrucken lassen.

Muss Griechenland aus dem Euro raus?

Griechenland ist das einzige Land der Eurozone, bei dem der geordnete und gut vorbereitete Austritt ziemlich eindeutig der beste Weg wäre.

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Das Papier. Der Vorschlag FIRE steht für „fiscal interest rate equalization“. Anfang Juli erschien ein englisches Thesenpapier zu diesem einfachen Vorschlag für einen fiskalischen Zinsausgleich. Deutschland sollte 90 Prozent des Umverteilungsvolumens von 5,7 Milliarden Euro zahlen.

Friedrich Heinemann ist Leiter des Forschungsbereichs „Unternehmensbesteuerung und Öffentliche Finanzwirtschaft“ am Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim. Er hat Volkswirtschaftslehre und Geschichte an der Universität Münster, der London School of Economics und der Universität Mannheim studiert. Nach seinem Studienabschluss als Diplom-Volkswirt an der Universität Mannheim wurde er Mitarbeiter im ZEW, wo er als Projektleiter, Senior Researcher und seit dem Jahr 2005 als Forschungsbereichsleiter tätig ist.

 

 Artikelbilder: Friedrich Heinemann. ZEW.

 

 

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Der Autor

Thorsten Cmiel

Thorsten Cmiel ist Chefredakteur von Investment Alternativen. Der studierte Ökonom ist seit über 15 Jahren als Finanzjournalist und Buchautor tätig.