Wieder auf der Tagesordnung – der Mindestlohn
Beim Thema Mindestlohn könnte jetzt Bewegung in die Debatte kommen. Die Initiative kommt diesmal wohl aus den Ländern. Scheinbar verliert Angela Merkel die Kontrolle. Richtig ist diese Sicht nicht.
In Thüringen wollen CDU und SPD eine gemeinsame Initiative für die Einführung eines flächendeckenden Mindestlohns starten. Im Bundesrat hat dieser Vorschlag Erfolgsaussichten, da auch Linkspartei und Grüne dem Mindestlohn zustimmen.
Sachfrage wird medial zur Machtfrage
Sofort wird die eigentlich inhaltliche Debatte (flächendeckender Mindestlohn ja/nein) in eine Machtfrage umgedeutet. Angela Merkel sei dadurch möglicherweise beschädigt. Diese Ansicht ist fragwürdig, wenn man Angela Merkel kennt. Wahrscheinlich ist: Merkel wird die Situation zu ihren Gunsten nutzen, die FDP vorführen und den Sozialdemokraten ein wichtiges denkbares Wahlkampfthema nehmen.
Die Verknüpfung von Sach- und Machtfragen ist kein reines Medienphänomen. In der SPD ringen die Parteiflügel schon länger um den Mindestlohn – ohne in der Sache uneins zu sein. Die selbsternannten Reformer der Partei wollten die Agenda 2010 an einem Detail korrigieren und riskierten lieber einen weiteren Glaubwürdigkeitsverlust, der dann auch mit dem schlechtesten Wahlergebnis aller Zeiten eintrat. Noch immer will beispielsweise Frank-Walter Steinmeier die Agenda 2010 als Politerfolg verkaufen. Der 2007 nicht eingeführte Mindestlohn war der jüngste Sündenfall der Sozialdemokraten, die ihre eigenen Prinzipien um des Machterhalts aufgaben.
Schlechte ökonomische Argumente
Ökonomen lernen in der ersten Stunde bereits, dass Märkte mit Markteingriffen Ungleichgewichte produzieren. Wird in den statischen Markt mit einem Mindestpreis über dem bisherigen Gleichgewichtspreis eingegriffen, dann wir der Markt nicht geräumt und es kommt zu einem Überangebot. In diesem Fall entsteht Arbeitslosigkeit.
Soweit die Theorie, die orthodoxe Wirtschaftswissenschaftler als eine Art Naturgesetz bezeichnen. Bei dieser Sicht geht man von einem nicht dynamischen, sich anpassenden Verhalten von Angebot und Nachfrage (Elastizitäten) aus. Taktisches Verhalten der Marktteilnehmer spielt ebenfalls keine Rolle. In Wirklichkeit dürften sich Angebot und Nachfrage unter anderen Bedingungen neu einpendeln.
Die Theorieanhänger vergessen auch, dass der Staat bereits in den Mechanismus eingreift und auf Arbeitgeberseite viele Mitnahmeeffekte entstehen, die mit dem einfachen Modell gar nicht erklärbar sind. So haben manche Arbeitgeber ihr Geschäftsmodell auf Kosten der Gesellschaft aufgebaut, werden aber nicht bei höheren Löhnen ihre Geschäftstätigkeit einstellen. Schließlich werden Brötchen auch für ein Cent mehr gekauft, zumindest wenn durch neue Regelungen alle Bäcker betroffen sind. Auch Haare werden weiter geschnitten oder Zeitungen ausgetragen, um einige Bereiche zu nennen.
Die Arbeitnehmer, sogenannte Aufstocker, werden bislang zum Amt geschickt. Das kostet die Gesellschaft im Jahr 11 Milliarden Euro in der aktiven Zeit und später entstehen weitere soziale Kosten beispielsweise durch Minirenten. Das hat inzwischen die SPD erkannt und macht das zum Thema bei der Debatte um Altersarmut sogar zum Thema.
Hartziger Irrtum
Die Theoretiker in der Hartz-Kommission hatten die eigentlich nicht schlechte Idee, dass durch einen zweiten Arbeitsmarkt neue Einstiegsmöglichkeiten für Arbeitslose entstehen. In Wirklichkeit haben sich der Niedriglohnsektor und Leiharbeit nur verfestigt, denn die Gefahr abzustürzen macht Menschen kompromissbereiter, manche sagen erpressbarer bei Lohnverhandlungen. Und vor allem fehlt es offenbar an Anreizen der Subventionsmitnehmer, neue echte Arbeitsplätze zu schaffen.
Das Hartz-Motto des „Fordern und Förderns“ klingt zunächst gut, hat aber in der Gesellschaft völlig neue Gerechtigkeitsfragen aufgeworfen und weniger gebracht als manche Ökonomen und vor allem Politiker zugeben wollen. Da wird mal eben anhand von Einzelbeispielen das gesamte Konzept gelobt, dabei sind bei derart vielen Maßnahmen aus Gründen der Wahrscheinlichkeit zwangsläufig einige erfolgreiche Ansätze darunter. Falsch ist es jedenfalls, dass die Agenda 2010 Deutschschland für die Zukunft fit gemacht hat. Viel wichtiger war die Zurückhaltung der Lohnforderungen seitens der Gewerkschaften. Die zahlreichen Verkrustungen und Subventionen im Land sind weiterhin nicht angetastet worden, wie jüngst das Global Economic Forum feststellte.
Hartz und seinen Experten haben ledinglich bei der schwächsten und am wenigsten organisierbaren Gruppe – wer weiß schon, ob er in fünf Jahren das Schicksal eines „Hartzers“ erleidet – den Druck erhöht. Den Umbau der ineffizienten Bundesanstalt für Arbeit beispielsweise hätte man auch ohne die anderen Maßnahmen umsetzen können.
Politische Einschätzung der Debatte
Es wird kommentiert, dass Angela Merkel zunehmen Widerstand aus den eigenen Reihen spüre, da die Kompromisslinie mit der FDP der Verzicht auf einen allgemeinen Mindestlohn zugunsten von regionalen Bündnissen verläuft. Dabei übersehen die Kommentatoren, dass nur die Liberalen, aber nicht die Union sich beim Them Mindestlohn noch wirklich zieren im Bundestag. Auch Angela Merkel ist in der Frage keine echte Überzeugungstäterin. Zudem gibt es mit den Liberalen noch eine offene Rechnung. Wie sagte Wolfgang Bosbach noch in der Debatte um den Bundespräsidenten: „Man sieht sich immer zweimal im Leben.“
Für Angela Merkel kommt die Debatte zu einem günstigen Zeitpunkt. Die FDP kann in dieser Frage kaum die Koalition in Frage stellen und wird von der Kanzlerin wohl noch vor der Bundestagswahl vorgeführt werden. Die Sozialdemokraten werden am Ende ein Wahlkampfthema weniger haben und auch das dürfte Angela Merkel in die Karten spielen. Wer ist also der politische Verlierer?
Artikelbild: DGB-Plakat