China-Reise: Unfaire Kritik an China
Chinas Politik ist weitsichtig und erfolgreich. Das wird von vielen Kommentatoren hierzulande nur nicht wahrgenommen. Da werden vor allem Probleme diskutiert ohne diese zu relativieren.
Liest man einige der zahlreichen Kommentare zur China-Reise von Angela Merkel, dann fällt auf, das sich die politischen Kommentatoren vor allem an einem Nicht-Treffen mit dem Anwalt eines Regimekritikers stören. Das ist typisch für die Berichterstattung hierzulande und wird dem Gastland und seiner Bedeutung nicht annähernd gerecht. Oft ist die Rede von Eklat oder Affront oder Provokation. Was würden die Kommentatoren hierzulande eigentlich schreiben, wenn ein chinesischer Staatsgast sich in Berlin sagen wir mit dem selbsternannten Bevölkerungsexperten Thilo Sarrazin treffen würde, um mit ihm über die deutsche Integrationspolitik zu sprechen? Wir wären mit Recht empört und Angela Merkel würde im Kanzleramt toben.
Symbole sind schlechte Politik
Genauso wirkt auf die Chinesen das ständige Einmischen in innere Angelegenheiten Chinas. Natürlich muss man sich für Menschenrechte, Meinungsfreiheit und demokratische Elemente in der politischen Willensbildung einsetzen. Aber muss man das Land und seine Regierung durch seine Gesprächspartnerauswahl beleidigen?
Es gab eine Phase in der deutschen Politik, da fanden es Politiker toll sich mit dem geistigen Oberhaupt von Tibet, dem Dalai Lama, zu treffen und ablichten zu lassen. Das hat nicht geholfen, sondern diplomatische Eiszeiten begründet. Denn eine Staatsräson scheint für die chinesische Regierung zu gelten: Auf Druck von außen reagiert China grundsätzlich nicht – im Gegenteil. Freiheitsbuchpreise an Dissidenten in China sind für ein gutes Gefühl der Juroren geeignet, aber ob sie eine ohnehin vorhandene Entwicklung weiter fördern ist zumindest fraglich. Schnell war bei uns die Sympathie verteilt, denn der Dalai Lama hat eine wahrlich bemerkenswerte Lebensgeschichte. Aber ist sein Anliegen der tibetischen Unabhängigkeit noch sinnvoll? Oder bedeutet das nicht neue Instabilitäten? Was ist der Grund für die chinesische Haltung in der Tibet-Frage? Dazu und zum Versuch China zu verstehen ist Sendepause hierzulande. Es ist einfach schick China zu kritisieren und Menschenrechtspolitiker zu zitieren als gäbe es nur ein Thema: Angela Merkel habe sich „an der Nase herumgeführen lassen“, meint der Grüne Volker Beck. Seine Einschätzung ist verständlich, der Mann ist schließlich Sprecher für Menschenrechtspolitik.
China ist im Umbruch
Die Gesamtbewertung für China ist anders: China ist ein Land mit rasanten Veränderungsprozessen und dabei gibt es jetzt und in Zukunft viele Probleme zu lösen. Manchen Chinesen geht der Wandel zu einer Industrienation auch nicht schnell genug. Aber: Wie organisiert man den Bau von Städten und Mobilität für Hunderte von Millionen Menschen? Wie verhindert man eine Immobilienblase in China? Wie stabil ist die wirtschaftliche Entwicklung in China tatsächlich? Aus wie vielen Provinzen besteht China eigentlich? Wie viele der Regionalführer dort repräsentieren mehr Menschen als Angela Merkel? Nur eine Zahl zur besseren Dimensionierung: Als die Finanzkrise im Westen ausbrach verloren quasi über Nacht 20 Millionen chinesische Wanderarbeiter ihren Job. Wo war hierzulande seinerzeit der Aufschrei und das Verständnis für diese Ungerechtigkeit? In Amerika fiel ein Sack um und China spürte es.
In Zukunft muss China mit einer alternden Bevölkerung klarkommen. Das ist auch eine Folge des Wohlstands und der Ein-Kind-Politik, die für unsere Ohren natürlich eine absurde politische Entscheidung markiert. Aber was sollte man tun in einem Land mit knapp 1,4 Milliarden Einwohnern und starkem Bevölkerungswachstum? Die Antworten sind nicht trivial und dagegen wirkt die Euro-Krise geradezu winzig. Ein Problem, das hiesige Politiker nicht in den Griff bekommen. Bleibt festzuhalten: Chinas Politiker müssen in anderen Dimensionen denken als Politiker in Europa.
Falsche Adressaten
Wer kritisiert eigentlich das Kultunternehmen Apple in diesen Tagen? Die Amerikaner lassen viele ihrer Produkte in China fertigen und fahren Milliardengewinne ein. Die Arbeitsbedingungen in China spielten bislang eine untergeordnete Rolle für die Amerikaner, die Käufer und die politisch-korrekten Kommentatoren. Wünschenswert wäre gewesen, wenn dieses Thema mit einem ähnlichen Enthusiasmus und breit kommentiert worden wäre wie das Nicht-Treffen mit einem Anwalt eines Regimekritikers.
Oder ein anderes Beispiel: Unisono kritisieren westliche Kommentatoren die Rohstoffpolitik der Chinesen, die nicht genügend Seltenerdmetalle liefern, um den Hunger der westlichen Volkswirtschaften zu befriedigen. Was ist falsch an dem Zitat von Premier Wen Jiabao aus dem Jahr 2010?
In the beginning of the 80’s we sold Rare Earths at the price of salt. But they deserve the price of gold. We are just starting to protect our natural interests.
Falsche Welt: China hat inzwischen begonnen für seine Minen Umweltauflagen zu erlassen. Statt Applaus erntet China nur Kritik für seine Rohstoffpolitik. In Wirklichkeit haben die westlichen Staaten die Seltenerdmetalle einfach vernachlässigt. Im Jahr 2002 stellte die US-Gesellschaft Molycorp den Abbau in der weltgrößte Mine für Seltene Erden außerhalb Chinas ein. Jetzt darf man sich nicht beklagen, wenn es zu Versorgungsengpässen kommt und die Preise weiter hoch bleiben.
Ein weiterer Aufreger ist regelmäßig die Währungspolitik: Forderungen nach einer Freigabe des Renminbi, der chinesischen Währung, sind Legion. Aber ist das auch richtig aus chinesischer Perspektive? China kontrolliert die Währung und lässt nur eine leichte, aber stetige Aufwertung zu. Dadurch verlieren die eigenen Währungsreserven in heimischer Perspektive an innerem Kaufwert. Eine zehnprozentige Abwertung des US-Dollar kostet das Land 100 Milliarden Dollar für die Mann den Vereinigten Staaten Waren geliefert hat. Keine Kleinigkeit also. Zudem müsste China bei einer frei konvertiblen Währung mit starken Verwerfungen rechnen. Da wären schnell mal Arbeitsplatzverluste in zweistelliger Millionenhöhe zu beklagen – siehe Finanzkrise. Aus der Perspektive chinesischer Politiker ist die Politik der leichten Aufwertung verständlich und sinnvoll.
Angela Merkel gibt die Diplomatin
Angela Merkel hat dazu gelernt und versucht sich in einem diplomatischen Spagat zwischen dem was die Presse in Deutschland will und den deutschen Interessen. Die Bundeskanzlerin formulierte vorsichtig: »Ich denke, ein Land wie China mit der großen Vitalität und Entwicklungsdynamik sollte aber auch das Vertrauen haben, dass dazu Menschen notwendig sind, die mit ihrer Vitalität und Überzeugungskraft ihrerseits die Zivilgesellschaft stärken«. Das ist gut gesprochen und wenigstens kein neues Fettnäpfchen. So kann es weitergehen, um China an seiner Seite zu wissen. Deutschland liefert im Jahr Maschinen und anderes im Wert von mehr als 30 Milliarden US-Dollar an China. Tendenz stark steigend.
Einen ausgewogenen Kommentar zur China-Reise (zumindest im Schlussteil) finden Sie hier (SZ).
Eine Art Dossier zum Thema Menschenrechte gibt es hier (Der Spiegel).
Artikelbild: Die chinesiche Mauer. Wiki Commons.