Professer Martin Weber: „Diversifizierung funktioniert“
Ein Gespräch mit Professor Dr. Dr. h.c. Martin Weber über die Vorzüge der Diversifikation, den Transfer von Praxiswissen und einen Investmentfonds.
Im Oktober 2008 haben Sie zusammen mit zwei wissenschaftlichen Mitarbeitern eine Studie herausgegeben, die nach einem „Allokations-Ansatz zur Konstruktion eines Weltportfolios“ suchte. Was war die Idee dahinter?
Wir hatten zuvor ebenfalls gemeinsam das Buch „Genial einfach investieren“ geschrieben. Leser stellten uns die Frage: Jetzt haben wir das Buch gelesen, aber wie sollen wir unser Geld nun konkret anlegen? Genau mit dieser Frage haben wir uns beschäftigt. Interessanterweise stellten sich etwa zeitgleich drei Leute von der London Business School dieselbe Frage und erstellten eine Parallelstudie. Genau genommen waren die sogar etwas früher dran. Übrigens war der Initiator der Studie in England von seiner Mutter gefragt worden: „Junge wie soll ich denn mein Geld anlegen?“
Was ergaben Ihre Untersuchungen?
Es heißt ja immer, es gebe nichts umsonst an den Kapitalmärkten – kein free lunch. Außer Diversifikation. Das ist das Einzige, was man kostenlos erreichen kann. Das wissenschaftlich Neue an der Studie war das Ergebnis, dass Heuristiken, also einfache Auswahlregeln, bei der Werteauswahl genauso gut sind wie komplexe Optimierungsalgorithmen.
Das erinnert an die Überoptimierung von Handelssystemen …
Ja. Das ist immer dasselbe. Mathematisch kann man zeigen, dass komplexe Methoden immer dann funktionieren, wenn die Daten richtig sind. Aber wer kennt schon die zukünftigen Renditen?
Was bedeuten Ihre Ergebnisse für Privatanleger?
Zunächst: Die Portfoliotheorie von Markowitz ist richtig, aber sie ist auch schon 60 Jahre alt. Im Laufe dieser Zeit hat man die Theorie immer weiter verbessert, verfeinert und dann wieder verbessert. Die gute Nachricht, das Tolle für Privatanleger ist: Diversifikation funktioniert genauso gut wie komplexe moderne Auswahlverfahren für Wertpapiere. Denn die Optimierungen der Modelle kann ein Privatanleger natürlich nicht leisten.
Sie haben zunächst ein Weltportfolio ermittelt. Was war Ihnen dabei wichtig?
Wir haben uns auf liquide und handelbare Anlagen konzentriert. Man hat drei Asset-Klassen: Aktien, Renten, Rohstoffe. Bei Aktien haben wir Anlagen in den drei wichtigsten Weltregionen Nordamerika, Europa und Asien sowie in den Schwellenländern. Die Gewichtung erfolgt nicht nach Marktkapitalisierung, sondern nach der Wirtschaftskraft dieser Gebiete. Die Aufteilung unter den Asset-Klassen beträgt 60 Prozent Aktien, 25 Prozent Anleihen und 15 Prozent Rohstoffe. Daraus lässt sich ein Index mit einem attraktiven Rendite-Risiko-Profil ermitteln. Die Engländer haben übrigens für jede Anlageklasse genau ein Drittel genommen.
Gäbe es überhaupt Anlässe, die Aufteilung 60/25/15 zu verändern?
Das ist eine berechtigte Frage. Wir haben uns mit der Optimierung beschäftigt. Das Wichtige ist, dass wir nicht „in-sample“ optimiert haben. Wenn man einfach die vergangenen Daten nimmt, dann wäre eine höhere Rentenquote besser gewesen. Man soll aber nicht „in-sample“ optimieren, also sich an der gesamten Datenmenge aus der Vergangenheit orientieren. Für Wissenschaftler ist das einer der größten Fehler, die man überhaupt machen kann. Vom wissenschaftlichen Standpunkt aus ist es übrigens egal, ob man 25 oder 35 Prozent Renten hat. Entscheidend ist: Man muss die Asset-Klassen mischen. Ob sich zukünftig an den Gewichten etwas ändert, das will ich nicht ausschließen, aber da muss schon relativ viel passieren.
Die Rohstoffpreise entwickeln sich stärker mit der Konjunktur. Handelt es sich dabei um einen Effekt, der zu solchen Veränderungen bei den Gewichtungen führen kann?
In zwei Jahren kann man keinen neuen Trend erkennen. Das kann Zufall sein. Um Korrelationen der Anlageklassen in Frage zu stellen, müssten sich solche Entwicklungen über längere Zeit zeigen.
Sie schreiben an einer Stelle in der zuvor erwähnten Studie, dass Diversifikation immer dann nicht funktioniert, wenn man sie am meisten benötigt. Was sollen private Anleger also tun? Die Asset-Klasse „Cash“ berücksichtigen?
Das ist eine Frage der eigenen Risikoeinstellung. Man sollte nicht sein gesamtes Geld in riskante Anlagen investieren. Beim ARERO ist es so, dass das Risiko durch Diversifikation sinkt, aber es wird nicht auf null reduziert. Wenn die Märkte fallen, dann ist man dabei. Aber genau deshalb kann man einen Ertrag erwarten. Wenn man heute sicher investiert, dann erhält man bei einer deutschen Staatsanleihe eine nominale Verzinsung von null Prozent. Man muss also Risiken eingehen, wenn man mehr will. Die Frage an jeden Anleger lautet: Wie viel Risiko kann ich tragen? Wenn ich sage, ich habe einen Betrag von beispielsweise 10 000 Euro und will auf keinen Fall etwas verlieren, dann darf ich nicht in den ARERO oder in den Aktien- oder Rentenmarkt investieren.
Sie erwähnen den ARERO Weltfonds. Aus dem Weltportfolio entstand das Konzept für den Fonds. Das war eine Art Transfer von der Wissenschaft in die Praxis. Wie kam es dazu?
Für uns ergab sich die Frage: Wie kann man unsere Ideen und Ergebnisse eigentlich implementieren? Und da hatte ich das Glück, dass ich die Damen und Herren bei der DWS davon begeistern konnte. Ohne Partner wäre uns das gar nicht möglich gewesen – denken Sie an die rechtlichen Anforderungen hinter solch einem Fonds. Für diese Chance bin ich heute noch dankbar.
Gab es Änderungsbedarf angesichts der Finanzkrise?
Kürzlich ist der ARERO vier Jahre alt geworden. Wir haben uns als Gruppe gefragt, was wir heute anders machen würden. Uns ist nichts eingefallen. Wir haben die Daten inzwischen fortgeschrieben. Auch hierdurch gab es keine Änderungen. Es muss nicht immer so sein, dass sich die Anlageklassen wie in der Vergangenheit entwickeln. In den letzten 15 Jahren war es mal so, mal so. Das ist genau das, was das Prinzip des Zufalls abbildet.
In der Finanzkrise kommen täglich neue Hiobsbotschaften heraus. Müssen wir angesichts der Krise über das Thema Risiko neu nachdenken?
Nein. Bei Banken ist es so, dass diese teilweise nicht richtig diversifiziert waren. Ich diversifiziere mein Risiko nicht, indem ich griechische, spanische und italienische Anleihen habe. Das ist keine richtige Diversifikation, weil vielleicht ein gemeinsamer Risikotreiber dahinter steckt. Die konkrete Situation von Banken kann ich natürlich nicht beurteilen, aber ich meine, dass Banken auch viele unterschiedliche Anlageklassen in ihrem Portfolio haben. Hinzu kommen Kredite an private Anleger. Das ist eine sehr breite Streuung.
Der Fonds ist weder aktiv gemanagt noch ein passiver Fonds wie ein Exchange Traded Fund (ETF).
Das stimmt. Wir sind von der Nomenklatur her kein ETF, aber wir haben 2011 einen Award als „ETF-Anlagelösung des Jahres“ gewonnen. Wir führen ein regelmäßiges Rebalancing durch. Im Fonds sind also aktive und passive Elemente vereint.
Wie sieht dieses Rebalancing aus?
Die Gewichte werden einmal im Jahr im Februar angepasst und in die Ursprungsgewichtung gebracht. Interessant ist auch: Wir haben mal ausgerechnet, ob man das einmal im Jahr oder beispielsweise halbjährlich machen sollte. Unser Ergebnis: Einmal im Jahr reicht völlig aus. Auch wenn man unterschiedliche Zeitpunkte für das Nachjustieren nutzt, ergeben sich keine wesentlichen Veränderungen.
Sie setzen sich für Transparenz, Einfachheit und niedrige Transaktionskosten ein. Der ARERO ist Swap-basiert, und spätestens hier versteht man als Anleger nur noch wenig. Ist das der notwendige Kompromiss, um niedrige Kosten zu sichern?
Schon aus Eigeninteresse haben wir mal diskutiert, ob man den Fonds voll replizierend, also mit den Originalanlagen, machen sollte. Aber das ist gar nicht so einfach heutzutage, wenn man das zu niedrigen Kosten hinbekommen will. Für den DAX kann man das machen, aber für den ARERO funktioniert das erst, wenn man ein Anlagevolumen von vielleicht 50 Milliarden Euro hat. Momentan verfügt der Fonds über etwas mehr als 200 Millionen Euro. Ein Swap-basierter Ansatz muss von sehr professionellen Leuten wie hier von der DWS betreut werden. Für den ARERO gilt: Ein Swap-Partner darf maximal zehn Prozent ausmachen. Der Swap muss abgesichert sein, und die Länderanleihen sind hochliquide. Insofern ist das für mich in Ordnung. Wenn man das vielleicht noch besser beschreiben kann, dann bin ich bei Ihnen.
Kommen wir zum Thema Wissenschaft und Praxisbezug: Das Auflegen eines Fonds ist sehr praxisnah. Derzeit wird Volkswirten Praxisferne vorgeworfen. Das wäre Politikberatung.
Bei den Volkswirten, um das mal zu sagen, ist das schwierig, da es zum Beispiel in der Makroökonomie vorsichtig gesprochen nicht die gesicherte Theorie gibt. Die einen sagen, ich muss Inflation haben und die Wirtschaft ankurbeln, und die anderen meinen, ich darf auf keinen Fall Inflation zulassen und muss sparen. Unser Vorteil ist, dass wir seit 1973 umfangreiche Daten zur Verfügung hatten, mit denen wir rechnen konnten.
Hatten Sie keine Angst um Ihr persönliches Renommee, wenn Sie sich mit einem Fonds so exponieren?
Das ist eine Herausforderung. Ich will es andersherum sagen, weil wir eben über Politikberatung gesprochen haben: Ich würde mich freuen, wenn die Rücklagen für meine Beamtenpension nach unseren Prinzipien angelegt würden. Mich überzeugt, dass man mit einem Fonds erklären kann, wie Geldanlage funktioniert. Das war für uns die Herausforderung, die wir annehmen wollten.
Kommen wir zum Thema Behavioral Finance. Wissenschaftliche Erkenntnisse kommen in der Praxis oft falsch bei Anlegern an. Der Home Bias beispielsweise. Letztlich handeln sich Anleger bei internationalen Anlagen Währungsrisiken ein.
Beim Home Bias ist wichtig zu lernen, dass man nicht alle Eier in einen Korb legen soll, nicht nur in den Heimatkorb. Das Konzept Home Bias geht für mich aber noch weiter. Home Bias wäre für mich auch, wenn ich beispielsweise bei Siemens arbeite und zusätzlich zu meinem Einkommen noch Siemens-Aktien halte. Vielleicht wohne ich auch noch in der Nähe von einem Siemens-Werk. Dann könnten meine privaten Kapitalanlagen vielleicht etwas einseitig ausfallen. Home Bias heißt ja nur, um Markowitz wieder zu Ehren zu bringen: Ich bin nicht optimal diversifiziert. Insofern sehe ich den Home Bias als vollkommen richtiges Konzept an.
Ein anderer Aspekt, vor dem Wissenschaftler gerne warnen, ist das Klumpenrisiko, also eine zu einseitige Ausrichtung der Geldanlagen auf Einzelwerte. Beispielsweise bei Apple ist das zurzeit zu beobachten.
Nehmen wir Warren Buffett. Wenn man sich vor sagen wir 30 oder 40 Jahren überlegt hätte, wie man sein Geld anlegen soll, dann sind vielleicht 10 000 Leute herumgerannt und haben gesagt: Ich bin der zukünftige Champion, gebt mir euer Geld. Ganz klar, dass einer davon übrig bleibt. Zurück zu denen, die sich über Apple freuen, und ich freue mich für die Leute, die in das Unternehmen investiert haben. Aber denken wir auch an diejenigen, die in der Dot-Com-Blase überwiegend in ähnliche Unternehmenskonzepte investiert und die jetzt ihr gesamtes Geld verloren haben.
Also raten Sie Anlegern, die Diversifikation durchzuhalten…
Ja. Genau.
Das Gespräch mit Professor Weber führte Thorsten Cmiel.[divider top=“1″]
Link zum Weltfonds ARERO. Link zur DWS (Wertentwicklung).
Homepage Behavioral-Finance-Team.