Target2 – wo sind die Risiken?
Seit 2011 tobt ein Kampf um die Interpretation der zuletzt stark angestiegenen Ländersalden im Abwicklungssystem der Zentralbanken – Target 2 genannt. Professor Sinn und andere kritisieren das System und die Gedankenlosigkeit der Zentralbanker.
Zugegeben: Bankbilanzen verstehen ist harter Tobak. Zentralbankbilanzen und weltweite Zahlungsströme zu interpretieren ist ebenfalls kein Zuckerschlecken. Über die Interpretation der milliardenschweren Ländersalden ist in der Presse und in Fachkreisen zu einem Streit gekommen. Sind die Milliarden im Feuer, wenn ein Land ausfällt?
[box title=“TARGET“ color=“#D67E29″]Das Akronym TARGET steht für „Trans-European Automated Realtime Gross Settlement Express Transfer“. Target2 ist die Fortentwicklung dieses von der EZB-Verrechnungssystems der Eurozone.
[/box]Ganz richtig hat irgendwie keiner der Streithähne die komplexe Situation im Griff: Professor Sinn vom ifo-Institut sieht die Salden als Risikopositionen und Finanzierung von Exporten. Dabei ist seine Sichtweise auf die Summen und nicht auf die Schuldner gerichtet. Wenn also der griechische Staat insolvent wäre, dann bedeutet das natürlich nicht gleich den Ausfall aller Verbindlichkeiten.
In der Tat: Wenn Griechenland sagen wir Panzer-Milliarden nicht bezahlen oder Kredite ausfallen, dann gibt es Gläubiger, die dadurch erschüttert werden. Aber es ist längst nicht gesagt, dass griechische Privatunternehmer ihre Rechnungen nicht begleichen. Das gilt genauso für Italien, Spanien, Irland und Portugal.
Auch ist Kapitalflucht denkbar aus Krisenländern und auch dann verändern sich die Salden.(Folgende Grafik 1 aus: Hans-Werner Sinn, Timo Wollmershäuser: Target loans, current account balances and capital flows: The ECB’s rescue facility).
Die Krisenstaaten GIIPS fahren insgesamt einen Negativsaldo von 650 Milliarden Euro. Deutschland steht mit 463 Milliarden Euro im Plus. Die medial spannende Frage ist jetzt: Was passiert, wenn die Zentralbanken nicht mehr zahlen wollen oder können. Anders als eigenständige Zentralbanken können die Institute im Euro nicht einfach die Druckerpresse anschmeissen.
Professor Sinn vergleicht jüngst die Euro-Salnden-Krise sei mit der Krise des Bretton- Woods-Systems.
Die Zentralbanken haben in der Krise Schulden Privater übernommen und dadurch kann es tatsächlich zu einem Problem kommen, denn in letzter Instanz zahlen immer die Länder bzw. Steuerbürger für nicht zurückgezahlte Schulden. Aber völlig ausgeblendet wird bei einer reinen Saldenbetrachtung, ob beispielsweise bei Warenlieferungen ein Eigentumsvorbehalt oder sonstige Sicherungen vorhanden sind.
Im Fall der Fälle könnten sich die Notenbanken weigern zu zahlen. Und dann kommt es im Kern zu Ausfällen. Das sei nicht so hieß es bislang aus der Notenbank. Sogar Mario Draghi spottete über Kritiker wie Sinn.
Aber eines muss man Professor Sinn zugestehen: Er hat als einer der ersten auf die möglichen Gefahren dieses Verrechnungssystems hingewiesen. Was kommt, steht freilich in den Sternen. Vielleicht wird der Saldo ja bald mit Drachmen ausgeglichen. Das dürfte dann den Wert der Währung weiter drücken. Es kommt zu der notwendigen Abwertung, die den Griechen wirtschaftlich nur recht sein kann. Ob man die Schulden zurückzahlt oder nicht – den Fall dürfen Notenbanker freilich nicht mal denken- ist völlig offen. Die „Märkte“ könnten ja in Panik geraten.
Wer das auf „ökonomisch“ und ausführlicher von Professor Stefan Homburg, einem ausgewiesenen Makroexperten, erklärt wissen will, der klicke hier.
Am 8. Juni erhielten wir die folgende Pressemeldung vom ifo-Institut mit aktuellen Zahlen.
[box title=“ Die Target-Kredite der Bundesbank steigen weiter“ color=“#D67E29″]Nachdem die Target-Kredite der Bundesbank an das EZB-System schon bis zum April auf 644 Mrd. Euro angestiegen waren, sind sie im Mai, wie die Bundesbank mitteilt, um weitere 55 Mrd. Euro auf insgesamt 699 Mrd. Euro gestiegen. Der Prozess der Umwandlung des Sparvermögens der Deutschen von marktfähigen Anlagen ihrer Banken auf bloße Ausgleichsforderungen gegen die EZB, die nur minimal verzinst sind und nie fällig gestellt werden können, geht mit Riesenschritten voran. Knapp 75 % des Nettoauslandsvermögens der Deutschen bestehen nun aus bloßen Target-Forderungen.
Target-Kredite entstehen, indem andere Euroländer für Waren oder Vermögensobjekte, die sie in Deutschland kaufen, bei der Bundesbank anschreiben lassen oder indem sie ihre privaten Schulden in Deutschland tilgen und stattdessen eine Schuld gegenüber der Bundesbank akzeptieren.
Die Bundesbank ist an dem Prozess nicht aktiv beteiligt. Er liegt vielmehr in der Mechanik des EZB-Systems begründet. Hätte Europa ein Währungssystem wie die USA, dann hätte die Bundesbank heute das Recht, die Tilgung der vergebenen Kredite in Form einer Übertragung von marktfähigen Wertpapieren im Wert von etwa 700 Mrd. Euro zu verlangen.
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Artikelbild: Hans-Werner Sinn. Copyright ifo. Fotografin: A. Schellnegger.