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Griechenland: Investoren würden „linksradikal“ wählen

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15. Juni 2012

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Griechenland: Investoren würden „linksradikal“ wählen

In der politischen Berichterstattung über Griechenland arbeiten die meisten Medienvertreter mit dem üblichen Schubladendenken. Schade, denn so hilft man bei der Problemlösung nicht. Falls am Sonntag die Syriza klarer Wahlsieger sein sollte, wäre das gut für das Land. Auch für künftige Investitionen.

Die Redakteure der Financial Times lesen nicht mal ihr eigenes Blatt. Die Financial Times Deutschland gibt eine zweisprachige Wahlempfehlung zur Wahl in Griechenland ab: »Liebe Griechinnen und Griechen, sorgen Sie für klare politische Verhältnisse. Stimmen Sie mutig für den Reformkurs statt zornig gegen notwendige, schmerzhafte Strukturveränderungen. Nur mit den Parteien, die die Bedingungen der internationalen Kreditgeber akzeptieren, wird Ihr Land den Euro behalten können. Widerstehen Sie der Demagogie von Alexis Tsipras und seiner Syriza. Trauen Sie nicht deren Versprechungen, dass man einfach alle Vereinbarungen aufkündigen kann – ohne Konsequenzen. Ihr Land braucht endlich einen funktionierenden Staat. Damit es geordnet regiert wird, empfehlen wir die Nea Dimokratia. Das fällt uns nicht leicht. Die Nea Dimokratia hat über Jahrzehnte eine falsche Politik betrieben und die heutige Misere mitzuverantworten. Trotzdem wird Ihr Land mit einer Koalition unter Antonis Samaras besser fahren als unter Tsipras, der das Rad zurückdrehen will und eine Welt vorgaukelt, die es so nicht gibt.«

Der Hoffnungsträger heißt Alexis Tsipras

Alexis Tsipras erläuterte seine Vorstellungen in der deutschen Financial Times am Tag zuvor: »Um sämtliche Zweifel aus der Welt zu schaffen: Meine Partei, Syriza, tritt dafür ein, dass Griechenland in der Euro-Zone bleibt…Syriza – der Name ist auf Griechisch die Abkürzung für „Koalition der Radikalen Linken“ – ist aktuell die einzige politische Bewegung in Griechenland, die dem Land wirtschaftliche, gesellschaftliche und politische Stabilität bringen kann. Die kurzfristige Stabilisierung Griechenlands wird der Euro-Zone zugutekommen, während sie an einem kritischen Punkt in der Entwicklung der Binnenwährung steht. Schlagen wir keinen anderen Weg ein, wird uns die Sparpolitik mit umso höherer Gewissheit zum Ausstieg aus dem Euro zwingen…«

Alexis Tsipras ist Vorsitzender des griechischen linken Parteienbündnisses Syriza. Der Politiker und sein Programm werden von den Politikern anderer Länder als große Gefahr für den Euro gesehen. In Wirklichkeit sollte Griechenland seine Interessen vertreten, statt auf diejenigen zu hören, die im Land jahrelang betrogen und Eliten einseitig gefördert haben. Auch die etablierten Parteien in anderen Ländern sind keine guten Ratgeber.

Die korrupte Gesellschaft

In Griechenland gehört Bestechung dazu. Ein Monatsgehalt geht im Jahr für Bestechung drauf. Griechenland ist eine korrupte Gesellschaft, deren Geschäftsmodell nicht mehr funktioniert. Der oberste Steuereintreiber des Landes gab kürzlich der IWF-Chefin Christine Lagarde Recht. Griechenland könnte mit konsequentem Steuereintreiben den Staat finanzieren. Politisch war das nur nie gewollt. Stattdessen wurde die Mehrwertsteuer erhöht. Wer sagt eigentlich, dass sich in Zukunft an der korrupten Politik etwas ändern wird, wenn die Täter das neue Griechenland gestalten? Das ist im höchsten Maße naiv.

Hierzulande hört sich Linksradikal nach Terror an und nach brennenden Autos in Berlin. Schaut man sich aber die Situation im Land an, dann ist eindeutig, dass es so nicht weiter gehen kann und die Nea Dimokratia. Die Schere in der griechischen Gesellschaft ist zu groß. Reiche, die von der Krise nichts spüren und Steuer nicht bezahlen wollen, da die Regierung korrupt ist auf der einen Seite und Griechen, die keine Perspektive mehr haben und auf Almosen angewiesen sind auf der anderen Seite bieten keine Perspektive. Mit oder ohne Euro.

Gegen einfache politische Denkmuster

Die Politiker hierzulande haben ein massives Interesse Griechenland mit den Tätern der Vergangenheit zu beruhigen. Das ist jedoch langfristig für das Land die falsche Perspektive. Der Euroaustritt des Landes wäre kein Beinbruch, dem ohnehin noch eine schwierige Zukunft bevorsteht. Auch von kurzfristigen Turbulenzen an der Börse sollte sich niemand verunsichern lassen. Langfristig denkene Investoren würden jedenfalls in Griechenland „linksradikal“ wählen. Zumindest, wenn Sie es gut mit dem Land und seinen Bürgern meinen. Zurzeit bieten die etablierten Parteien dem Land keine Zukunft und ein Investor wäre mit dem Klammerbeutel gepudert, würde er dort nur einen Euro investieren.

Viel wahrscheinlicher ist es bei einem Wahlsieg der Syriza, dass Europa Griechenland auch im Falle des freiwilligen Euroaustritts unterstützt. Alles andere ist Geklapper und Geplapper des Politikbetriebs in Brüssel und in Berlin. Das hat Tsipras formuliert und Recht hat er damit.

Die Nea Dimokratia und die PASOK teilten sich in der Zeit bei Einführung des Euro das Parlament praktisch auf. Über Jahrzehnte sind so Seilschaften und Privilegien entstanden, die Griechenland geplündert haben. Griechenland hat sich günstige Kapitalmarktzinsen durch den Euro-Beitritt erschlichen und die Parteien ihre Wiederwahl. Die Mittelschicht und die Armen im Lande zahlen nun die Zeche dafür. Es ist daher völlig legitim, dass die überwiegende Mehrheit im Land sich ein Sprachrohr für den eigenen Protest sucht.

Liebe FTD-Redakteure: Schlimmer kann es für die meisten Menschen in Griechenland gar nicht werden. Natürlich ist Vieles populistisch an der Syriza und am Parteichef Alexis Tsipras. Aber das ist hierzulande im Wahlkampf nicht anders: Die Sozialdemokraten versprechen auch seit Jahrzennten Gerechtigkeit für Deutschland. Die Liberalen verteidigen als letzte Bastion eine Freiheit, die bereits erreicht ist und die Christdemokraten bewahren Werte, an die sich kein Parteigänger oder Politiker im wahren Leben mehr hält. Hierzulande benötigt niemand die Linken in Form der Linkspartei oder neuerdings die Piraten ohne Konzept. In Griechenland und damit für Europa ist die angeblich „linksradikale“ Partei jedoch die einzige Hoffnung auf eine Zukunft.

Hier das offizielle Programm der „Linksradikalen“ als PDF in Englisch.

Hier ein anderer Vergleich über Tsirpas von der SZ.

Artikelbild: Alexis Tsipras bei einer Rede am 1. Juni 2012.

 

 

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Tacheles

Tacheles ist anonymer Mitarbeiter unserer Redaktion. Das Geheimnis, ob Tacheles eine Frau oder ein Mann ist, dürfen wir nicht lüften. Politisch engagiert sei er (Tacheles). Kommentiert oder kritisiert wird nicht jeder, sondern nur wessen Meinung tatsächlich interessiert.