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EURO 2012 – schwer verständlich ist der Modus nur für ARD-Experten

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18. Juni 2012

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EURO 2012 – schwer verständlich ist der Modus nur für ARD-Experten

Angeblich ist der Modus bei den Fußball-Europameisterschaften unverständlich und ungerecht. Das liegt mehr an den Betrachtern als am System.

Der „Dekubitus“-Experte Mehmet Scholl sprach gestern von Ungerechtigkeit, wenn Deutschland mit sechs Punkten ausscheiden würde. Überall außer bei diesem Turnier ginge es gerechter zu. Sogar bei der FIFA. Das ist natürlich Quatsch und liegt mehr an den fehlenden eigenen Regelkenntnissen der Experten im TV.

Regelkunde

Zunächst die Regeln (nach Wikipedia): In der Endrunde gibt es vier Gruppen mit je vier Teilnehmern. Gespielt wird nach der Drei-Punkte-Regel. Bei Punktgleichheit kommt folgende Regelung zum Einsatz:

1.höhere Anzahl Punkte im direkten Vergleich;
2.bessere Tordifferenz im direkten Vergleich (bei zwei oder mehr punktgleichen Mannschaften);
3.höhere Anzahl der erzielten Tore im direkten Vergleich (bei zwei oder mehr punktgleichen Mannschaften).
4.Wenn zwei Mannschaften nach der Anwendung der Kriterien 1 bis 3 immer noch denselben Platz belegen, werden die Kriterien 1 bis 3 zur Bestimmung ihrer endgültigen Platzierung erneut angewendet, jedoch ausschließlich auf die Direktbegegnungen zwischen den beiden betreffenden Mannschaften.
5.Bessere Tordifferenz aus allen Gruppenspielen;
6.höhere Anzahl der erzielten Tore in allen Gruppenspielen;
7.höherer UEFA-Koeffizient zur Auslosung der Gruppenphase;
8.besseres Fairplay-Verhalten während der Endrunde;
9.Losentscheid.

Die deutsche Situation in Gruppe B

Schauen wir uns die Situation in Kenntnis der Regeln vor dem Spiel gegen Dänemark mal genauer an: Deutschland wäre bei einem 0:1 gegen Dänemark bei gleichzeitigem Sieg der Portugiesen ausgeschieden. Warum?

Alle drei Mannschaften (Dänemark, Portugal und Deutschland) hätten jeweils sechs Punkte. Die Punkteausbeute und Tordifferenz untereinander wäre identisch gewesen (Dänemark und Portugal 3:3 und Deutschland 1:1). Damit wäre Deutschland wegen der Regel 3 aus dem Turnier gewesen.  Portugal wäre Erster gewesen, da man gegen Dänemark gewonnen hat (Regel 4).

Das bedeutet aber auch: Hätte Deutschland gegen die Dänen mit 2:3 oder höher (mit einem Tor Abstand) verloren, dann wäre Portugal ausgeschieden. Warum? Auch dann hätten wieder alle Mannschaften 6 Punkte bei gleichem Torverhältnis, aber die Dänen hätten mit 5:5 die meisten Tore. Deutschland und Portugal wären mit 3:3 dabei gewesen und, da Deutschland gegen Portugal gewonnen hat, wäre Regel 4 einschlägig und Portugal wäre draußen gewesen. Daher erlöste das Tor von Lars Bender das deutsche Nationalteam, denn nur wenn es den Dänen danach gelungen wäre, mindestens noch drei Tore zu schießen, hätte Deutschland die Heimreise antreten müssen.

Mehmet Scholl sollte mal jemand die Regeln erklären. Ungerechtigkeit könnte nur im Vergleich zu anderen Gruppen entstehen. Diese ist aber völlig unabhängig vom Modus hier. Natürlich ist es ärgerlich, dass Mannschaften mit sechs Punkten ausscheiden können, während in anderen Gruppen ein Team mit drei Punkten weiterkommt (alle Spiele gehen 0:0 aus und ein Spiel endet 1:1). Dann kommen die Teams mit einem erzielten Tor und drei Punkten weiter.

Solche „Ungerechtigkeiten“ könnte man mit einer Regel aushebeln, die den Gesamtpunktestand berücksichtigt. Nennen wir das mal Wildcards für Punkte-Runner. Genau diese Regel gilt übrigens in der Qualifikation, wenn die Punktbesten Zweiten ein Entscheidungsduell bekommen.

Gruppe A

In dieser Gruppe gewann Russland gegen die Tschechen mit 4:1. Das Problem war nur, dass das tschechische Team letztlich mehr Punkte aufzuweisen hatte als die Russen. Damit wurde das recht hohe Ergebnis für die weitere Qualifikation unwichtig. Am Ende hatten die Griechen und Russland jeweils 4 Punkte, aber den direkten Vergleich hatten die Hellenen gewonnen. Was ist also ungerecht an dieser Regelung? Richtig ist: Die Griechen waren im direkten Aufeinandertreffen erfolgreicher. Die Tordifferenz nach Fifa-Regeln hätte für die Russen gesprochen. Aber: Beide Teams kannten die Regeln schon vorher.

Gruppe C

Italien hat gegen beide Konkurrenten bereits gespielt (jeweils 1:1). Die Regeln zur Reihenfolge bei der Qualifikation kommen nur dann zur Anwendung, falls Kroatien und Spanien sich unentschieden trennen und Italien gleichzeitig gegen die Iren gewinnt. Dabei spielt dann das Ergebnis keine Rolle. Auch das könnte ein Vorteil für die Italiener sein, denn ein 1:0 reicht. Aber: Sollten die Kroaten und Spanier sich 2:2 oder höher Unentschieden trennen, dann wäre Italien sogar nach einem 7:0 raus. Denn dann hätten auch wieder alle relevanten Mannschaften 5 Punkte und ein ausgeglichenes Torverhältnis. Italien hätte am wenigsten Tore erzielt. Regeltechnisch interessant wäre ein 1:1 zwischen Kroatien und Spanien. Dann hätten sämtliche Mannschaften – ein Sieg Italiens gegen Irland vorausgesetzt – 2:2 Tore im direkten Vergleich. Regeln 3 und 4 bringen also keine Entscheidung. Danach kommt jetzt die gute, alte Tordifferenz zum tragen. Danach ist Spanien in jedem Fall weiter, da man die Iren mit vier Toren Unterschied geschlagen hat. Kroatien bringt es nur auf zwei Tore im Plus.

Auch hier wieder etwas weiter gedacht: Würde Italien mit 2:0 gewinnen, wären die Kroaten weiter, da 3:1 mehr Tore bei gleicher Differenz gebracht hat. Spannend ist nur, wer sich bei einem 3:1 Sieg der Italiener gegen die Iren (und 1:1 im anderen Spiel) qualifiziert. Dann zieht Regel 7 der UEFA-Koeffizient. Danach wäre Italien als Nummer vier weiter, denn Kroatien lag nach dieser Lesart auf Rang 6.

Also gilt für die Marschroute der Italiener mindestens zwei Tore mehr erzielen als die Iren und dabei mindestens drei Tore schießen. Dann könnte nur ein 2:2 oder höher die Squadra Azzurra aus dem Turnier werfen. Genau daran erinnerte sich Giovanni Trappatoni gerade, der 2004 wegen eines 2:2 von Dänemark und Schweden mit dem italienischen Team ausschied. Pikanterweise ist er diesmal Trainer der Iren und da fragt man sich schon, weshalb er sich über die Situation eines anderen Teams Gedanken macht.

Übrigens: Damals war die Tordifferenz der Italiener in Gruppe C schwächer als die der anderen Teams. Also gab es damals keinen wirklichen Regelfall.

Gruppe D

Die Franzosen sind bereits (fast) qualifiziert. Der Grund ist einfach: Verliert die Ukraine am Dienstag ihr Spiel gegen England, dann haben Schweden und die Ukraine jeweils 3 Punkte, Frankreich hat schon jetzt vier Punkte (nur bei einer Niederlage der Franzosen interessiert dieser Fall) und England dann sechs Punkte. Relevante Ergebnisse sind hier nur Siege der Ukraine gegen England bei gleichzeitiger Niederlage der Franzosen gegen Schweden. Dann hätten die Ukrainer 6 Punkte und Frankreich und England lägen gleichauf. Auch hier gilt der direkte Vergleich, der dann keine Hilfe ist. Dann wiederum gilt die Tordifferenz. Hier hat Frankreich einen Vorteil von einem Tor gegenüber den Engländern. Verlieren die Franzosen in gleicher Höhe wie die Engländer, dann sind die Jungs von der Insel aus dem Rennen. Spannend wäre auch hier nur ein Fall: Frankreich verliert mit 0:2 und England 0:1. Dann wäre bei gleicher Tordifferenz England weiter, da man mehr Tore erzielt hat.

Über ARD-Experten

Man erwartet eigentlich, dass bei einer Fernsehsendung eingeladene Experten sich auskennen mit dem Spielmodus. Als Beispiel eines uninformierten Experten dient Michael Rummenigge. Der behauptete in der immer langweiliger werdenden Sendung „Waldis Club“: Deutschland würde im Halbfinale gegen die Spanier spielen. Siege beider Mannschaften im Viertelfinale vorausgesetzt. Schauen wir mal genauer hin (farblich markiert sind zusammengehörige Kombinationen):

Viertelfinale 1: Tschechien – Portugal

Viertelfinale 2: Deutschland – Griechenland

Viertelfinale 3: Sieger C gegen Zweiter D (update 19.06: Spanien – Zweiter D)

Viertelfinale 4: Sieger D gegen Zweiter C (update 19.06: Erster D – Italien)

 

Halbfinale 1: Sieger VF 1 gegen Sieger VF 3

Halbfinale 2: Sieger VF 2 gegen Sieger VF 4

 

Das bedeutet, dass Deutschland im Halbfinale gegen den Sieger aus der Gruppe D oder den Zweiten aus Gruppe C spielt. Michael Rummenigge geht also davon aus, dass die Spanier ihre Gruppe nicht(!) gewinnen. Oder: Er hat wie alle Experten im öffentlich-rechtlichen Fernsehen keine ausreichenden Kenntnisse über den Spielmodus. Die anderen Diskutanten bemerkten natürlich nichts und freuten sich schon auf das Halbfinale gegen Spanien.

Peinlich, peinlicher, ARD.

Artikelbild: Illustration. G. Villa. Foto: Adrian Zawislak, Wiki Commons.

 

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Der Autor

Thorsten Cmiel

Thorsten Cmiel ist Chefredakteur von Investment Alternativen. Der studierte Ökonom ist seit über 15 Jahren als Finanzjournalist und Buchautor tätig.