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Die Geschichte vom „bösen Wulff“

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7. Februar 2013

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Die Geschichte vom „bösen Wulff“

Der Hauptstadtjournalist Michael Götschenberg erzählt die Geschichte hinter der Geschichte vom Rücktritt des „bösen Wulff“. Kritik am eigenen Berufszweig inklusive.

 
Selten ist jemand in Deutschland derart abgestürzt wie der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff. Wie konnte es soweit kommen, dass dieser in wenigen Wochen in der Wahrnehmung vom ersten Mann im Staate zum obersten Schnäppchenjäger des Landes wurde? Welche Rolle spielten die Medien in der Affäre Wulff? Was leistete die Politik? Wie kam es zum Bruch der Bild-Zeitung mit Christian Wulff? Was passierte in Schloss Bellevue während der Krise? Gab es Versäumnisse im Krisenmanagement? Das sind einige der Fragen auf die Michael Götschenberg in seinem Buch vom „bösen Wulff“ eine Antwort gibt.

Respektlosigkeit über den Wolken

Februar 2012. In einer Regierungsmaschine auf dem Weg zum Staatsbesuch in Italien spielt sich eine unglaubliche Szene ab: Ein Journalist brüskiert den damaligen Bundespräsidenten, indem er Christian Wulff vor Journalisten, Kameraleuten und Fotografen fragt, ob dieser nur deshalb nicht zurücktrete, weil er „Angst vor Mittellosigkeit“ habe. Eine Respektlosigkeit ohnegleichen, die den Höhepunkt des Falls von Wulff symbolisiert. Zugleich markiert diese Szene einen Tiefpunkt des Journalismus in Deutschland.

Richtig ist: Zum Ende seiner Amtszeit war die Würde des Amtes des Staatsoberhauptes nicht mehr ausreichend, um den Amtsinhaber zu schützen. Vier Tage später trat Christian Wulff zurück.

Der Rücktritt von Christian Wulff schloss den Kreis: Vom Präsidenten, den die Medien schon vor seiner Wahl nicht wollten, über berechtigte Vorwürfe und absurde Anschuldigungen — die Stichworte „Bobby-Car“ oder „After Eight“ werden im Buch ausführlich erklärt— bis hin zur breiten medialen Ablehnungsfront im Februar 2012.

598 Tage im Amt

Der Hauptstadtjournalist und Autor Michael Götschenberg schildert die Präsidentschaft von Christian Wulff nicht nur aus der Perspektive seines unrühmlichen Rücktritts, sondern würdigt dessen gesamte 598 Tage im Amt. Denn der Mann aus Schloss Bellevue hatte zwar vor allem zuletzt schwere Kommunikationsfehler in der Krise begangen, aber dennoch im Amt eine Erfolgsbilanz aufzuweisen. Das meint zumindest Götschenberg und führt die guten Beziehungen zum türkischen Präsidenten Gül als Beleg an. Eine Präsidentenfreundschaft entstand, die bis heute anhält. Der Satz über Judentum und Islam, die heute wie das Christentum zu Deutschland gehören, wurde im Ausland besonders aufmerksam und wohlwollend zur Kenntnis genommen.

Wie die Stimmung kippte

Die Öffentlichkeit folgte der Mehrheit der Medienvertreter nur mit Verzögerung und mit viel Misstrauen, denn Christian Wulff war ein äußerst beliebter Amtsinhaber mit Zustimmungsraten von bis zu 80 Prozent. Auch unter den Parteien hatte sich Wulff in wenigen Monaten als überparteilicher Präsident Respekt erarbeitet, auch wenn er ohne Karenzzeit direkt vom Amt des Ministerpräsidenten gewechselt war.

Wer welche Rolle spielte

Versagt haben laut Götschenberg vor allem die Politiker: In der größten Krise duckten sich diese einfach weg. Die Medien übernahmen daher eine Rolle, die „ihnen nicht zusteht“. Sie jagten Christian Wulff, der durch Fehler im Krisenmanagement seinen Teil zur Krisenverschärfung beitrug. Auch war das Präsidialamt keine Hilfe, zumal die interne Kommunikation genauso schlecht war, wie die nach außen. Das ergaben Gespräche des Autors mit zahlreichen Zeitzeugen und anderen Akteuren.

Michael Götschenberg erläutert in seinem Buch zudem das Zusammenspiel der Medien im Fall Wulff. Während der Affäre hielt die Bild-Zeitung den Taktstock in der Hand und instrumentalisierte andere „seriöse“ Medien. Zudem wollte das Blatt keinesfalls der Königsmörder sein. Letztlich hatte die Staatsanwaltschaft den schwarzen Peter und sorgte durch die Aufnahme von Ermittlungen für das Ende der Amtszeit von Bundespräsident Christian Wulff.

Michael Götschenberg ist es gelungen, die Ereignisse der Wochen von Dezember 2011 bis Februar 2012 zu schildern, ohne selbst Partei zu ergreifen. Der Autor liefert viele Details, die außerhalb Berlins unbekannt sind und die Einschätzung der Ereignisse in einem anderen Licht erscheinen lassen. Götschenberg gelingt mit seinem Buch die längst überfällige Medienanalyse zum Fall des Christian Wulff. Viele hatten dem Autor im Vorfeld abgeraten, das Buch zu schreiben. Er schrieb es zum Glück trotzdem.

 
Fakten zum Buch

Der böse Wulff – die Geschichte hinter der Geschichte und die Rolle der Medien
Autor: Michael Götschenberg
ISBN: 978-3-864700-84-2
Seiten: ca. 250
Erscheinungsdatum: 06.Februar 2012
Art: gebunden mit SU
Preis: 19,90 €

 
Über den Autor

Foto Waschzettel_500pxDer Hauptstadt-Journalist Michael Götschenberg hat die Karriere von Christian Wulff von Anfang an verfolgt und ist ein Kenner der Berliner Politik- und Medienszene. Michael Götschenberg ist seit 2010 politischer Korrespondent in Berlin und Leiter des gemeinsamen Hauptstadtstudios von RBB, MDR, Radio Bremen und Saarländischem Rundfunk. Er hat die knapp 600 Tage von Christian Wulff im Amt des Bundespräsidenten intensiv verfolgt: Er hat den Präsidenten auf mehreren Auslandsreisen begleitet und war auch bei der letzten Reise des Präsidentenpaares nach Italien dabei. Götschenberg lebt in Berlin.
 
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Der Autor

Thorsten Cmiel

Thorsten Cmiel ist Chefredakteur von Investment Alternativen. Der studierte Ökonom ist seit über 15 Jahren als Finanzjournalist und Buchautor tätig.