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Das Turtle-Experiment

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5. April 2012

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Das Turtle-Experiment

Die Story kennt man aus Hollywood-Filmen: Zwei erfolgreiche Geschäftsleute gehen eine Wette ein. Aus einem Unbekannten soll ein Erfolgsmensch werden. Gibt es nicht in der Realität? Stimmt nicht.

In den frühen 1980er-Jahren wollten der Rohstoffhändler und studierte Philosoph Richard Dennis und der Mathematiker William Eckhardt, endlich Klarheit über Gründe des Erfolgs beim Traden. Ist Erfolg an der Börse und speziell im Rohstoffhandel erlernbar? Genügen Regeln für den erfolgreichen Rohstoff-Futures-Handel (Dennis)? Oder bedarf es eines angeborenen Talentes oder Intuition (Eckhardt)? Die beiden Geschäftspartner aus Chicago lösten ihren freundschaftlichen Disput mit einer Wette und bescherten der Szene damit eine ewige Legende.

Dennis suchte Kandidaten per Anzeigen im Wall Street Journal, der New York Times und in der Washington Post. Vorerfahrungen würden berücksichtigt, seien aber nicht notwendig hieß es. Es meldeten sich 15.000 Interessenten – von Profispielern bis hin zu Schulabsolventen. Mit Hilfe von Fragebögen und einem umfangreichen Auswahlprozess wurden die Kandidaten ausgewählt. Insgesamt schafften es 21 männliche und zwei weibliche Teilnehmer in das Programm. Die erste Gruppe absolvierte im Herbst 1983 ein zweiwöchiges Training mit Richard Dennis und erlernte dabei die Handelsregeln der Trader für zwei vorgegebene Rohstoff-Trendfolgesysteme. Dennis bezeichnete seine Schüler als Turtles (Schildkröten). Er soll formuliert haben: »Wir werden Trader züchten wie Schildkröten in Singapur«. Dabei erinnerte er sich an den offensichtlich eindrucksvollen Besuch einer Schildkrötenfarm in Asien.

Top Secret: die Regeln der Turtles

Vollständige Informationen über die genauen Regeln der Turtles gibt es nicht. Einige der Teilnehmer berichteten später über ihre Zeit während des Experiments, hielten sich aber strikt an die vereinbarte Vertraulichkeit. Zudem: Das Turtle Experiment wäre keine Legende, wenn alle Regeln der Turtles und alle Teilnehmernamen inzwischen bekannt wären.

Durchgesickert ist bis heute, dass die Turtles von Dennis aufgefordert wurden, sich mehr an den Kursen als an den Fernseh- und Nachrichtenkommentaren zu orientieren. Die Turtles sollten außerdem ihre Verluste je Trade auf maximal zwei Prozent ihres Kapitals begrenzen. Vor Eingehen neuer Engagements sollten die Turtles Pläne für verschiedene Kursverläufe schmieden. Empfohlen war zudem, in volatilen Märkten vorsichtiger zu Werke zu gehen als in einem stabilen Umfeld. Ansonsten hatten die Turtles die freie Marktwahl – von Gold bis Mais. Zur Auswahl standen zwei Ausbruchsysteme mit Hinweisen für den Markteintritt und das Aussteigen. Die Grundidee war es, Trends rechtzeitig zu identifizieren und diesen für Ein- und Ausstiege zu nutzen. Viele der angewandten allgemeinen Regeln von Dennis sind heutzutage unter Tradern Basiswissen.

Der Ausgang des Experiments

Um den definitiven Beweis anzutreten, stattete Dennis die Turtle-Trader mit jeweils etwa einer Million US-Dollar aus. Die Turtles erhielten ein Grundgehalt und eine 20-prozentige Erfolgsbeteiligung. Das Turtle Experiment zeigte letztlich, dass Disziplin einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren für Trader ist. Ein weiteres Ergebnis war, dass das Umsetzen einfacher Regeln in der Praxis durchaus schwierig ist. Als weiterer Erfolgsfaktor wurde das Aufbringen der notwendigen Geduld ermittelt: Die Turtles vertrieben sich nach Teilnehmerangaben die Zeit vor allem beim Ping-Pong-Spiel. Das Programm endete im Jahr 1988. Dennis gewann schließlich die Wette, da seine Turtles insgesamt finanziell erfolgreich waren. Über die genauen Ergebnisse gibt es bis heute keine gesicherten Hinweise: Mal ist von einem Plus in Höhe von 175 Millionen US-Dollar die Rede, mal von 80 Prozent auf das eingesetzte Kapital.

Viele Turtle Trader hatten in ihrer Zeit bei Dennis finanziellen Erfolg und blieben an der Börse aktiv. Der erfolgreichste Turtle Trader war Jerry Parker, der 1988 sein eigenes Trading-Unternehmen, Chesapeake Capital, gründete. Für andere Ex-Turtle stellte sich die Folgezeit als schwieriger heraus, offenbar da die Disziplin der Gruppe fehlte. Richard Dennis selbst erlitt beim Börsencrash 1987 Verluste und verlor im Jahr 2000 sogar die Hälfte seines Vermögens. Das war besonders ärgerlich für einen Mann, der selbst eine lebende Legende ist und zu dessen besten Zeiten Gerüchte über sein Interesse an einem Rohstoff genügten, Commodity-Kurse in Bewegung zu setzen.

 

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Der Autor

Thorsten Cmiel

Thorsten Cmiel ist Chefredakteur von Investment Alternativen. Der studierte Ökonom ist seit über 15 Jahren als Finanzjournalist und Buchautor tätig.