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Börse Berlin – zwischen Tradition und Moderne

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19. Oktober 2012

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Börse Berlin – zwischen Tradition und Moderne

327 Jahre – die Börse Berlin blickt auf eine lange Geschichte zurück, die immer auch eng mit dem Schicksal der Stadt Berlin verknüpft war.

Berliner Börse – Kurszettel von 1810

Blick in den Börsensaal

So erlebte die Börse ihre erste Blütezeit mit Beginn der Industrialisierung um 1820, die auch Berlin einen entscheidenden Entwicklungsschub gab. Einen regelrechten Boom erfuhr man dann nach der Gründung des Deutschen Reichs 1871 durch Otto von Bismarck. Berlin wurde die Hauptstadt des neuen Staates und gewann schnell an Attraktivität. Davon profitierte auch die Börse Berlin.Zusammen erreichte man Bedeutung über die deutschen Grenzen hinaus; als internationales Handelszentrum, als einer der größten Industriestandorte der Welt und als weltweit anerkannter Finanzplatz. So wählten in den 1930er Jahre rund ein Viertel aller deutschen Aktiengesellschaften Berlin als ihren Hauptsitz. Die gewerblichen Niederlassungen in der Stadt machten rund ein Zwölftel aller deutschen Unternehmen aus. Rund um die nördliche Friedrichstadt (Jägerstraße/Unter den Linden) und um das Brandenburger Tor siedelten sich die Zentralen vieler deutscher Banken und Finanzdienstleister an. Mitunter verzeichnete man hier die Adressen von mehr als 100 Bankhäusern und ihren Filialen. An der Burgstraße zählte die Börse Berlin in ihren drei Abteilungen Wertpapier-, Produkten- und Metallbörse täglich mehr als 6.000 Besucher. Damit beherbergte Berlin im Bezirk Mitte bis 1945 das deutsche Finanzzentrum.

Nach dem Zweiten Weltkrieg

Ruine der Börse

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs blieben von den eleganten Bankgebäuden und den imposanten Handelssälen der Börse wenig mehr als Ruinen. Die nachfolgende Teilung Berlins führte dazu, dass das historische Bankenviertel in Berlin-Mitte vollständig auf dem Gebiet der neu entstandenen Hauptstadt der DDR lag. Eine Wiederansiedlung von Banken und Börse an alter Stelle wurde damit unmöglich. Auf Seiten der Banken und der Industrie bestand wohl auch nur wenig Interesse an einer Rückkehr. Die Teilung Berlins machte die einstige Finanz-, Handels- und Industriemetropole zu einer Insel, die für den Rest der neu gegründeten Bundesrepublik Deutschland nur schwer erreichbar war und auf Subventionen aus „Westdeutschland“ angewiesen blieb. Für Unternehmen und Banken war Berlin damit unattraktiv geworden.

Makler in Aktion um 1960

Trotz dieser schwierigen Umstände eröffnete die Börse Berlin am 11. März 1952 wieder ihre Pforten und bezog 1955 an der Fasanenstraße ihr neues Gebäude. Während Berlins wirtschaftliche Entwicklung unter der Teilung massiv litt, entstand in der Bundesrepublik Deutschland ein neues Finanzzentrum in Frankfurt. Die Grundlage dafür bildete die Entscheidung der Westalliierten, die Deutsche Zentralbank in der hessischen Hauptstadt anzusiedeln. In Folge verlegten viele Banken ihre Zentralen ebenfalls an den Main. Spätestens mit der Internationalisierung des Finanzwesens in den 1960er Jahren stieg Frankfurt zur Finanzmetropole auf. Ähnlich wie die Börse Berlin vor dem Zweiten Weltkrieg, profitierte und profitiert nun auch die Frankfurter Börse vom Aufstieg „ihrer“ Stadt und wurde so zur wichtigsten deutschen Börse.

Mauerfall und Moderne

Börsensaal 80er-Jahre

Diese neue Ordnung scheint bis heute fest verankert, trotz Mauerfall, Wiedervereinigung und der Entscheidung für Berlin als Hauptstadt und Regierungssitz des wiedervereinigten Deutschlands. Denn nach einem ersten Berlin-Boom, der vor allem auf dem Immobilienmarkt spürbar war, schwächelte die Entwicklung der neuen, alten Hauptstadt schnell. Vom Umzugsbeschluss der Bundesregierung am 20. Juni 1991 dauerte es noch fast acht Jahre bis am 19. April 1999 die erste Sitzung des Deutschen Bundestages im frisch renovierten Reichstagsgebäude stattfand. Das neue Bundeskanzleramt wurde schließlich im Mai 2001 bezogen. Zehn Jahre nach der Entscheidung für Berlin waren Bundestag und Bundesregierung in Berlin angekommen. Während dieser Zeit verlegten zahlreiche Verbände und Institutionen, auch aus der Finanzbranche, ihre Hauptsitze nach Berlin. Und auch Banken, Versicherungen und Finanzdienstleister aus Deutschland und dem Rest der Welt eröffneten wieder Niederlassungen und Filialen in Berlin. Das historische Bankenviertel erlebte eine Renaissance, denn die Banken suchen die Nähe zum Regierungsviertel und zum Finanz- und Wirtschaftsministerium. Von einer Rückkehr Berlins zum wichtigsten deutschen Finanzplatz zu sprechen wäre sicher falsch, aber Berlins Bedeutung als prestigeträchtiger Standort für die Finanzbranche steigt kontinuierlich an. So arbeiten inzwischen zahlreiche Berlinerinnen und Berliner im Kredit- und Versicherungsgewerbe. Von den wichtigsten europäischen Kreditinstituten haben sieben ihren Hauptsitz hier, insgesamt beherbergt die Hauptstadt die Niederlassungen von 20 Banken und auch alle großen Versicherungen verfügen über eine Vertretung in Berlin. Hinzu kommt eine große Anzahl spezialisierter Wirtschaftsprüfer, Anwaltskanzleien und Unternehmensberatungen, denn Berlin entwickelt sich für Risikokapitalgeber gerade zum „Silicon Valley“ von Europa. Neben London ist Berlin inzwischen eines der wichtigsten Technologiezentren Europas und zudem ein führender Wissenschaftsstandort mit einer Reihe von innovativen Unternehmen in der Bio- und Medizintechnik sowie in vielen Schlüsselindustrien. Venture Capital Unternehmen bescheinigen den Akteuren eine ausgeprägte Gründerkultur. So gehört Berlin inzwischen zu den Top 3-Standorten für Risikokapital in Deutschland – mit viel Luft nach oben. Denn der Bedarf an Risikokapital ist hoch und Investoren sind in diesem boomenden Markt jederzeit willkommen.

Berlin im Aufwind – die Börse Berlin auch

Blick in den Börsensaal 2003

Berlin kommt – die Hauptstadt ist auf dem besten Weg, sich ihre vormals herausragende Stellung wieder zu erarbeiten. Und die Börse Berlin? Die Verknüpfung mit dem Schicksal der Stadt ist nicht mehr ganz so eng wie früher. Wichtiger ist es für eine Börse heute, sich auf die rasant wachsenden Veränderungen am Finanzmarkt einstellen. Mut zur Innovation ist gefragt, und so hat Berlin immer neue Initiativen gestartet. Ob es die Handelszeiten waren, die wir als erste Börse 1995 den Bedürfnissen der Privatanleger folgend verlängerten, die Einführung neuer Produkte, die Aufhebung der Präsenzpflicht der Skontroführer oder die Implementierung innovativer Handelssysteme, die Börse Berlin war oft Vorreiter. Die Einführung eines neuen Handelssystems hat dazu geführt, dass die Börse Berlin heute die einzige Regionalbörse ist, die zwei Marktplätze betreibt. In Ergänzung zu dem auf inländische Privatanleger ausgerichteten Handelssystem Xontro, das bis heute das wirtschaftliche Rückgrat der Börse Berlin bildet, wurde das Ziel einer Ausweitung des Dienstleistungsangebotes hin zu einem paneuropäischen Ansatz 2008 mit dem Start des Marktplatzes Equiduct erfolgreich umgesetzt.

Equiduct

Equiduct ist eine europaweit agierende Plattform für den Handel europäischer Blue Chips. Der Transaktionsservice für das System wird von London aus betrieben. Das Marktmodell orientiert sich an den Prinzipien der europäischen Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente (MiFID). Hier wurde unter anderem 2007 der Grundsatz des besten Preises verankert. Nicht mehr durch Konzentration der Liquidität auf einen Börsenplatz, sondern durch mehr Wettbewerb und damit geringere Kosten, durch höhere Ausführungsqualität und damit mehr Anlegerschutz sollte die Handelsqualität dauerhaft verbessert werden. Diesem Anliegen trägt Equiduct durch die Berechnung des volumengewichteten besten Preises (VBBO) Rechnung – mit Erfolg. Der Umsatz auf Equiduct erreichte von Januar bis August 2012 ein Volumen von rd. 22 Mrd. Euro, Tendenz steigend. Der Vorteil für die Anleger in Frankreich, Italien und den Benelux-Staaten liegt klar auf der Hand: Sie sparten allein von Januar bis August 2012 durch Equiducts VBBO über 609.000 Euro. Allerdings profitieren bisher nur die Anleger im europäischen Ausland von diesem Angebot. Deutsche Banken sind bis dato noch nicht an Equiduct angeschlossen, was wohl auch auf die besondere Situation in Deutschland zurückzuführen ist. Anders als in anderen europäischen Staaten haben Anleger hier bereits die Wahl zwischen mehreren Regionalbörsen, weshalb den Banken der Anschluss an weitere Handelsplätze – aus unserer Sicht zu Unrecht – zweitrangig erscheinen mag. Durch den europaweiten Vertrieb und den Anschluss an diverse Clearinghäuser (LCH Clearnet SA, LCH Clearnet Ltd., Six-x-clear AG und Euro CCP) ist die Börse Berlin mit Equiduct dennoch für die Zukunft gut aufgestellt.

Was Anleger davon haben

Der maklergestützte Xontro-Handel bietet für den privaten, inländischen Anleger das gesamte Spektrum an Wertpapieren mit den Schwerpunkten internationale Aktien und Anleihen. Das zugrunde liegende Marktmodell gewährleistet, dass Anleger auch in weniger liquiden Werten stets einen marktgerechten Preis bei der Ausführung ihrer Order erhalten. Der Skontroführer spendet Liquidität bei wenig gehandelten Titeln, sorgt über ein Limit Control System für das Auslösen von Stopp-Loss-Orders bei fehlender Gegenseite und verhindert wirtschaftlich nicht sinnvolle Teilausführungen, um die Gebühren für den Privatanleger möglichst niedrig zu halten. Informierte und risikobereite Anleger finden neben Werten aus den großen Indizes vor allem Papiere aus der zweiten und dritten Reihe. Gerade beim Handel in den letztgenannten Instrumenten profitieren Anleger von den strengen Liquiditätsverpflichtungen, die Skontroführer einhalten müssen. So ist eine hohe Handelsqualität auch für diese Titel gewährleistet – und das börsentäglich von 08:00 bis 20:00 Uhr.

Berlin kommt, und, mit zwei Marktplätzen und neuen Initiativen, auch die Börse Berlin. So lassen sich doch wieder Synergien finden zwischen der Börse und „ihrer“ Stadt. Berlin, als lebenswerte Stadt mit großer Anziehungskraft für junge, gut ausgebildete Menschen, erfährt gerade einen Wachstumsschub als Kulturmetropole, Wissenschaftsstandort und Venture Capital Markt. Die Stadt ist für die unterschiedlichsten Wirtschaftsbranchen und Unternehmen attraktiv. Davon wird auch die Börse Berlin nachhaltig profitieren.

Der Beitrag erschien erstmals im Messeheft zum Börsentag Berlin 2012.

Artikelbilder: Mit freundlicher Genehmigung der Börse Berlin.
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Dr. Jörg Walter Joint CEO Börse Berlin

Artur Fischer Joint CEO Börse Berlin

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