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Ökonomenstreit: Glaubenskrieg 2012

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1. August 2012

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Ökonomenstreit: Glaubenskrieg 2012

Die Fronten sind verhärtet. Dabei können Ökonomen meist nur Teile des realen Geschehens in der Wirtschaft erklären. Etwas mehr Demut täte allen Beteiligten gut, denn im Vorfeld der Krise haben nur wenige die Finanzmärkte beachtet und fast alle sind von Effizienz dort ausgegangen.

Mit einem offenen Brief in der FAZ versuchen 172 Ökonomen Einfluss auf die Politik zu nehmen. Dort heißt es auszugsweise:

Liebe Mitbürger, die Entscheidungen, zu denen sich die Kanzlerin auf dem Gipfeltreffen der EU-Länder gezwungen sah, waren falsch. Wir, Wirtschaftswissenschaftlerinnen und Wirtschaftswissenschaftler der deutschsprachigen Länder, sehen den Schritt in die Bankenunion, die eine kollektive Haftung für die Schulden der Banken des Eurosystems bedeutet, mit großer Sorge…Die Sozialisierung der Schulden löst nicht dauerhaft die aktuellen Probleme; sie führt dazu, dass unter dem Deckmantel der Solidarität einzelne Gläubigergruppen bezuschußt und volkswirtschaftlich zentrale Investitonsentscheidungen verzerrt werden.

Märkte und wie sie funktionieren

Die Finanzmärkte funktionieren reibungslos nur in der Theorie von Makroökonomen. In Wirklichkeit überwiegen die Phasen in denen „die Märkte“ nicht die richtigen Signale geben und Teilmärkte manipuliert werden. In der Praxis entstehen Probleme im System zudem durch assymetrische Informationen, Betrug, Konzentrationen und anders mehr. Es gibt Tausende von Märkten, deren Zusammenhänge längst nicht allen Marktteilnehmern bewusst sind und Insider können ihr Wissen für lukrative Geschäfte nutzen. Was der Grund für manche Marktaktivitäten bei Ebay beispielsweise ist, existiert in der Analyse von Theoretikern erst gar nicht. Innovationen und Verhaltensänderungen kommen dort auch kaum vor. Soviel zum Unterschied von Anspruch und Wirklichkeit der Ökonomenzunft.

Insbesondere die deutschen Volkswirte unterschätzten bislang die Abweichungen von den Umweltbedingungen der Theorie. So gibt es praktisch gesprochen in der Vorstellung dieser Gruppe keine ineffizienten Märkte, sondern nur von der Politik falsch gesetzte Rahmenbedingungen. Die andere Gruppe spricht von Marktversagen und will damit Eingriffe des Staates rechtfertigen. Beide Positionen besitzen ihre Berechtigung. Aber auf Ebene der Wissenschaftler ist längst ein Glaubenskrieg ausgebrochen.

Krisenursachen

Die Rahmenbedingungen an den Finanzmärkten waren in den falschen Bereichen reguliert und an anderen Stelle wurde gar nicht hingeschaut. Warum der Gesetzgeber beispielsweise Lebensversicherungen und Riester-Rente derart stark reglementiert, bis fast keine positiven Renditen mehr möglich sind, wird sein Geheimnis bleiben. Vermutlich geht es den Politiker um den Absatz von Staatsanleihen. Die wenig reglementierte Seite: Manche Marktteilnehmer dürfen bislang Risiken tragen, die sie im Zweifel nicht erfüllen können. Hier liegt eindeutig ein Regelungsdefizit. Die American International Group (AIG) beispielsweise verlor in der Finanzkrise 100 Milliarden US-Dollar mit Derivateversicherungen (CDS) und musste vom Staat aufgefangen werden.

Wichtig wäre es in jedem Fall die Krisenursachen sauber voneinander zu trennen. Und an dieser Stelle wird es hochpolitisch. Natürlich nahm die Krise ihren Anfang in den USA. Dort wurden zu üppige Hypothekenkredite ausgegeben. Diese wurden verpackt und in die Welt exportiert. Der gewaltige Abschwung am US-Häusermarkt führte dann zu einer Krise, welche die Staaten aus unterschiedlichen Gründen mit Rettungsmaßnahmen ablindern wollten.

Zurzeit befinden wir uns in der historisch bekannten zweiten Phase der Entwicklung: Nach der Bankenkrise kommen auch die Staatshaushalte in die Bredoullie. Immer, wie die US-Forscher Carmen Reinhart und Kenneth Rogoff in Studien herausgefunden haben. Für Ökonomen relevant ist es, die aktuelle Krise als Schuldenkrise der Staaten zu definieren und dann genau an dieser Stelle Korrekturen vorzuschlagen.

Politiker versuchen aus naheliegenden Gründen die Krisenursachen anders zu kommunizieren. Die Krisenursachen waren nicht die Politiker, sondern sind die Finanzmarktteilnehmer mit ihrer Gier. Dadurch wird es im politischen Betrieb – in Kombination mit Talkshows – einfacher, teure Krisenlösungen in der Bevölkerung durchzusetzen.

Schlachtfeld „Euro“-Rettung

Das aktuelle Schlachtfeld sind die Krisenlösungskonzepte. Die Bundesregierung marschiert zusammen mit den anderen Regierungen in Richtung einer Vergemeinschaftung von Schulden. Angeblich macht sie seit 25 Gipfeln das Gegenteil, aber in Wirklichkeit läuft alles darauf hinaus. Das sorgt für Unmut. Die Argumente werde immer unsachlicher und zwar auf beiden Seiten: Die Ablehner von Staatsschulden argumentieren: In guten Zeiten nimmt der politische Druck merklich ab und die Schulden bleiben erhalten. Das mag in ökonomischer Traumanalyse nicht relevant sein, für die praktische Politik spielen solche Überlegungen freilich eine Rolle. Auch gibt es Erfahrungswerte in Europa, die jetzt niemand wahr haben will. Deutschland muss zahlen und wird ausgenommen. Wegen des Holocaust wirft Thilo Sarrazin ein und macht eine wichtige Debatte zunichte.

Auf der anderen Seite wird ebenfalls eine große Keule geschwungen. Es gehe um Mangel an Solidarität. In der Sache ist ein zu starkes Sparen in der Krise in der Tat ein Problem. Ein Staat, der sich in eine Rezession hineinmanövriert, wird gemessen am Bruttoinlandsprodukt immer höhere Schulden auftürmen. Auch das ist doof.

Die Ökonomen streiten vor allem über das Thema der richtigen Krisenmedizin und sind doch weit weg von der Politik. Sollen die Staaten die längst überfälligen Reformen jetzt in der Krise durchführen oder sollen die Regierungen zunächst die Schulden ausweiten, um der Wirtschaft erstmal auf die Beine zu helfen. Sollen die Staaten gemeinsame Haftungsverbünde beschließen, wie das jetzt bei den Banken angedacht wird? Ja und nein. Italien schrumpft gerade seinen öffentlichen Sektor. Das ist nicht populär, aber notwendig. In Griechenland sind auch die Angestellten im öffentlichen Dienst, inklusive Rentenansprüchen zu teuer. Zumal hierzulande kaum jemand versteht, dass vor Ort nicht einmal die Steuerverwaltung gestärkt wird.

Populismus pur

Gemeinsam sind die Ökonomen beim Populismus: Man rette durch Steuermilliarden nur die Banken. Das ist hanebüchener Unfug auf der einen wie auf der anderen Seite. Die Staaten hatten die Banken zuvor als Abnehmer für Staatspapiere genutzt und in ihrer grenzenlosen Weisheit erklärt, Staatsanleihen seien sicher und daher bräuchten Banken keine Rücklagen zu bilden. Jetzt in der Krise fehlt es an haftendem Eigenkapital und jetzt sind die Banken schuld. Das ist erkennbar zu einfach.

Hier einige lesenswerte Kommentare. FTD.

Artikelbild: D. Richter.

 

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Tacheles

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